Moorehawke 02 - Geisterpfade
aber. Mit einer knappen Verbeugung ließ Embla sie allein, und Wynter und Christopher duckten sich aus dem Sonnenschein ins Zelt.
Drinnen war es stickig. Die Luft war dunstig, zu dicht; schon beim Hereinkommen bekam man Kopfweh. Christopher lief geradewegs zu einer der hinteren Zeltstangen und löste etwas von einem Haken. Wynter sah, dass es ein langer, dünner Stock war, der bis hinauf in die trüben Schatten der Zeltspitze reichte. Christopher drehte den Stock zwischen den Händen, woraufhin im oberen Bereich etwas gestrafft wurde, Schließlich öffneten sich hoch über ihnen drei kleine Klappen nach außen und ließen etwas gefiltertes Sonnenlicht und eine verblüffende Menge Frischluft herein.
»O Christopher!« Wynter wandte ihr Gesicht in den sanften Durchzug. »Das ist wundervoll.«
Ihre Freude erwärmte seine unglückliche Miene etwas. Er hakte den Stock wieder ein und schwankte zu ihrem Bett, wo er sich mit einem wohligen Brummen auf die Felle sinken ließ.
Wynter warf einen Blick auf Emblas Bett; Razi schlief tief und fest, das Gesicht zur Wand gedreht. Zwischen den zerwühlten Pelzen war er kaum zu erkennen, nur ein langer, dunkler Umriss, der im Halbdunkel gleichmäßig atmete.
»Wynter.« Jäh richtete sich Christopher auf. »Wo ist Razi?«
Nicht sonderlich überrascht, musste Wynter lächeln. Er war vollkommen benebelt vor Müdigkeit. »Hier, Christopher.« Sie deutete auf Emblas Bett. »Er schläft.«
»Ach so«, flüsterte er und ließ sich wieder aufs Lager fallen. »Dann ist ja gut.« Seine Augen fielen kurz zu, dann waren sie wieder offen und wanderten über die Zeltwand. »Wenn sie zurückkommt und zu ihm will, dann sag ihr, er sei beschäftigt. Raz … er würde ihre Absichten nicht verstehen.«
Wynter kicherte. Soweit sie das beurteilen konnte, waren sich Razi und Embla ziemlich einig, was ihre Absichten betraf. »Razi ist kein Kind, Christopher. Und ich hatte dich nicht für prüde gehalten!«
»Er ist kein Merroner. Und Embla ist Caora Beo . Razi würde sie niemals begreifen.«
»Du glaubst, seine Landung wird unsanft sein«, sagte Wynter leise. »Fürchtest du um sein Herz?« Darauf antwortete Christopher nicht, und Wynter krabbelte über die Felle zu ihm. »Razi ist ein erwachsener Mann, Christopher. Er weiß, was er will.«
Christopher lag immer noch auf dem Rücken, und Wynter legte sich auf die Seite, den Arm unter der Wange, und betrachtete ihn. Die Luft, die durch die geöffnete Zeltspitze einsickerte, war einfach köstlich – wie kühle Seide, die über ihre erhitzten Leiber strich. Einen Moment lang rührten sie sich nicht, genossen nur das Gefühl.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal in einem puballmór liegen würde.« Tief atmete Christopher ein, hob die Arme über den Kopf, streckte sich auf den Fellen aus und setzte dadurch den Kiefernduft der Zweige unter ihnen frei. »Dieser Geruch«, murmelte er. »Den habe ich vermisst.« Dann zog er die Arme neben den Kopf, um den sein Haar ausgebreitet lag wie schwarze Flügel. Wynter erwartete, dass er sofort einschliefe, doch er blieb wach und betrachtete weiterhin die Zeltwände. Von außen waren sie mit Symbolen bemalt, die als rote Schattenrisse aufleuchteten, wenn die Sonne durch das Leder schien, und sich sachte im Wind bewegten. »Das puballmór meines Vaters war über und über mit Schlangen bemalt«, erzählte er und hob einen Arm, um den Umriss eines Bären nachzuzeichnen. »An dem Tag, als der Stamm mich adoptierte und mir den Namen Coinín gab, malte er auf jede Seite einen Hasen, um zu zeigen, dass ich zu ihnen gehörte.« Christophers Augen glitzerten, und unvermittelt breitete er die Hand auf dem Leder aus wie einen dunklen, missgestalten Stern mitten auf der breiten Brust des Bären. »Vater …«, raunte er.
Wynter strich über die glatte Fläche von Christophers Bauch. Sie wollte ihn nur trösten, doch bei ihrer Berührung zog Christopher eine Drohgrimasse und schlug ihre Hand weg.
Eingeschüchtert wich Wynter zurück, und einen Moment lang war Christopher wie erstarrt, entsetzt über das, was er
getan hatte. Dann aber nahm er ihre Hand, drückte sie vorsichtig zurück auf seinen Bauch und starrte erneut an die Zeltwand.
So blieben sie eine Zeit lang liegen; Wynter hatte den Arm etwas unbeholfen zwischen ihnen beiden ausgestreckt, Christopher hielt ihre Hand auf seiner Haut fest. Schließlich holte er tief Luft, blinzelte sich die schimmernde Helligkeit aus den Augen und sagte: »Du
Weitere Kostenlose Bücher