Moorehawke 02 - Geisterpfade
Wynter fort: »Ich habe für uns alle angenommen. Auch für Wynter. Wird es … werden dort …«
»Ach, gütiger Frith, es ist schon gut«, blaffte Christopher übertrieben gereizt. »Es ist schon gut. Aber du kennst diese Menschen nicht. Du hättest dich auf alles Mögliche einlassen können, alles Mögliche . Du musst vorsichtiger sein.« Mit einem Blick auf Razis verwirrte Miene schien er zu einem Entschluss zu kommen. »Wir bleiben nicht hier«, sagte er mit fester Stimme.
Razi straffte die Schultern, sein Blick wurde kalt. »Jetzt hör mal, Christopher …«
»Razi!« Bei diesem Tonfall verstummte Razi sofort und sah seinen Freund mit großen Augen an. »Wir müssen morgen aufbrechen«, sagte Christopher einen Hauch sanfter. »Du musst mir vertrauen. Wir können nicht bleiben.«
Einen Augenblick lang sahen sich die Männer nur an.
»Willst du mir nicht sagen, warum?«, fragte Razi dann.
Christopher verneinte mit zusammengepressten Lippen.
»Du verstehst, dass ich diese Leute brauche, oder? Ich brauche sie, damit sie mich zu Alberon führen.«
»Wir werden einen anderen Weg finden. Vertrau mir.«
Razis braune Augen musterten Christophers Gesicht eindringlich. »Sind sie gefährlich? Kann man ihnen nicht trauen?«
Christopher sah Wynter an; sie lächelte und versuchte, ermutigend auszusehen. »Es sind keine schlechten Menschen«, sagte er leise. Und dann, mit abermals fest entschlossener Miene an Razi gewandt: »Aber hier und jetzt kannst du nicht bei ihnen bleiben. Sie gehören einer alten Religion an. Einer sehr, sehr alten Religion, und du hast ihre Caoirigh kennengelernt. Das kann nun nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Du hast ihre Caoirigh kennengelernt. Du wirst sie nie, niemals verstehen. Also müssen wir fort.«
»Sind wir nicht hier sicherer als dort draußen, wo die …«
»Razi«, schnitt Christopher ihm das Wort ab. Seine blassen Gesichtszüge verdüsterten sich. »Lieber laufe ich Gefahr, nochmal den Wölfen zu begegnen, als zuzulassen, dass du und Wynter länger als heute Nacht hierbleibt.«
»Du lieber Himmel!«, rief Wynter.
Razi stutzte. »Christopher …«, flüsterte er dann.
»Ich meine es ernst.«
»In Ordnung«, sagte Razi. »In Ordnung. Wenn es dir so viel bedeutet. Wir brechen im ersten Morgengrauen auf.«
Christopher nickte, doch Wynter bemerkte die Ungewissheit und Furcht in seiner Miene, nun, da Razi ihrer Abreise zugestimmt hatte. »Also gut«, sagte er. »Gut.« Damit warf er Wynter noch einen kurzen Blick zu, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zelt.
Wynter beugte sich nach vorn, um ihm besser nachsehen zu können, und Razi ging in die Hocke und beobachtete, wie Christopher auf die versammelten Menschen draußen zuging. Úlfnaor, Ashkr und Embla hatte sich inzwischen hinzugesellt, und alle schienen nur auf Christopher zu warten. Es machte den Eindruck, als hätte sich das gesamte Lager eingestellt, und alle waren dem Anlass gemäß gekleidet: Die Frauen trugen lange Gewänder in einem blassen Grün, die Männer knielange Überhemden und Hosen von derselben Farbe. Ihre Arme waren wie üblich nackt, die Halsreife und Armbänder und Ringe blitzten funkelnd in der Sonne.
Christopher humpelte auf sie zu, seine Gestalt hob sich deutlich von den großen, wohlgekleideten Männern und Frauen ab. Alle empfingen ihn freundlich, und er nickte ausdruckslos. Nur Ashkr lächelte ihn traurig an. Christopher hob das Kinn – und zu Wynters Verwunderung erwiderte er sein Lächeln. Schließlich hob Úlfnaor die Arme und rief etwas,
woraufhin sich Ashkr und Embla zu beiden Seiten von ihm aufstellten. Hinter ihnen folgten Wari und Christopher mit ernsten Gesichtern und aufrechter Haltung. Úlfnaor marschierte los Richtung Wald, und die Merroner folgten ihren Anführern in einer ordentlichen Prozession. Rasch war Christopher Wynters und Razis Blicken entschwunden.
»Ich glaube, Christopher hat Sólmundrs Platz eingenommen«, meinte Razi.
Wynter nickte, sie wusste gar nicht, warum sie so verstört war.
Razi stand wieder auf. »Bist du so weit, Schwesterchen?«, fragte er.
»Ich würde mir gern die Zähne reinigen«, begann sie, blickte ihn dann aber prüfend an. Er grinste verschmitzt. »Wohin gehen wir denn?«
Wortlos zog Razi die Augenbrauen hoch und schlüpfte aus dem Zelt.
Das Lager lag verlassen da, eine sonnige, menschenleere Landschaft im Wind flatternder Zelte und wehender Wäscheleinen. Wynter blieb stehen und sah sich um, verblüfft, wie leer alles
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