Moorehawke 02 - Geisterpfade
Schmerz zu verbergen und sich der steifen höfischen Umgangsformen zu befleißigen, die ihnen allen anerzogen worden waren. Als Hohe Protektorin sollte Wynter Razi ins Gewissen reden, damit er nicht länger wild um sich schlug wie ein grüner Junge, sondern sich zusammenriss und anständig benahm – wie der Fürst, der er war. »Razi …«, begann sie mit fester Stimme und verstärkte den Griff um seinen Arm.
Razis braune Augen streiften sie flüchtig. Er wartete, die Miene verbissen, die Lippen aufeinandergepresst. Natürlich wusste er, was sie gleich sagen würde, und Wynter wusste im selben Moment, dass sie es nicht konnte. Sie konnte jetzt nicht mehr und nicht weniger sein als einfach nur seine Freundin.
»Razi«, sagte sie erneut, nun aber sanft. Sie machte Anstalten, ihm die zu langen Locken aus dem Gesicht zu schieben, doch Razi riss den Kopf weg, und sie ließ die Hand sinken. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie. »Ganz ehrlich, Razi. Es tut mir so sehr leid.«
Stille breitete sich aus, während Wynter Razi zärtlich betrachtete und er ins Leere blickte. Dann wandte er sich ab. Mehr sagte Wynter nicht, sie blieb einfach neben ihm sitzen und sah ihn mit hilflosem Mitleid an. Nach einer Weile, als er den Kopf immer noch nicht gehoben hatte, tätschelte sie ihm den Arm, stand auf und lief zurück zum Feuer. Noch lange rührte sich Razi nicht vom Fleck, bis er schließlich die Bürsten nahm und begann, sein Pferd zu striegeln.
Christopher hatte sich unterdessen gewaschen und stand nun am Feuer, nackt, wie Gott ihn schuf. Errötend senkte Wynter die Augen. Sie hatte sich immer noch nicht an seinen vollkommenen Mangel an Schamgefühl gewöhnt. Das solltest du aber , dachte sie. Du hast dich ihm auf immer und ewig versprochen . Sie warf ihm einen schüchternen Blick zu, hockte sich dann ans Feuer und holte ihre eigenen Waschsachen aus dem Beutel. Auf immer und ewig , dachte sie. Mein süßer Hadraer .
Insgeheim war sie ein wenig neidisch auf Christophers vollkommene Unbefangenheit. Vermutlich würde keiner der Merroner auch nur mit der Wimper zucken, falls sich Wynter sämtlicher Kleider entledigen und kühn zwischen ihnen herumspazieren würde. Doch die Erziehung eines ganzen Lebens war nicht so leicht abzustreifen, und fürs Erste müsste sie damit vorliebnehmen, sich bis auf Unterhemd und Hose auszuziehen und so gründlich zu waschen, wie es ihr möglich war.
Sie dachte über die flackernden Lagerfeuer nach; ein hohes Risiko, wo doch die Wölfe so dicht in der Nähe lauerten. Christopher war entsetzt gewesen, als Úlfnaor plötzlich darauf bestand; Razi einfach nur wütend. Die Feuer seien, sagte er, grässliche Zeitverschwendung. Müde schloss Wynter die Augen. Jeder Zoll ihres Körpers tat weh. Wölfe hin oder her, Zeitverschwendung hin oder her, es wäre köstlich, sich zu waschen und heißen Tee zu trinken. Es wäre schon ein Segen, nur still zu sitzen.
Seufzend presste sich Wynter eine Hand auf den Unterleib, bis die Hitze der Haut die Krämpfe etwas gelöst hatte. Ausgerechnet am Tag, als sie aus dem Lager aufbrachen, waren ihre Menses aufgetreten, und heute war der letzte Tag, dem Himmel sei Dank. Sie hasste es, sich auf Reisen damit abplagen zu müssen.
Leise Schritte näherten sich, dann stand Hallvor vor ihr und blickte sie mit ihrem üblichen ernsten Gleichmut an. Eine lebhafte Erinnerung flackerte ungebeten in Wynters Kopf auf – die große, dunkelhaarige Frau, vom Feuerschein umrahmt, hinter ihr der sich windende Ashkr, dessen Schreie sich in ein gellendes Kreischen verwandelten, als die Flammen seine Haare entzündeten. Mühsam schob Wynter dieses Bild fort und setzte sich auf, die Miene zu einem höflich fragenden Ausdruck gezügelt. Christopher band sich gerade die Hose zu und beobachtete die Heilerin argwöhnisch. Aus dem Augenwinkel bemerkte Wynter, dass auch Razi hinter seinem Pferd hervortrat und, die Striegel in Händen, zu ihnen herüberblickte. Hallvor verneigte sich in seine Richtung, doch ihre Geste wurde nicht zur Kenntnis genommen.
Wynter erhob sich, um die Aufmerksamkeit der Frau von ihrem finster dreinblickenden Freund abzulenken. »Guten Abend, Hallvor«, grüßte sie.
Lächelnd verbeugte sich die Heilerin abermals. Freundlich sagte sie etwas, und aus Gewohnheit schielte Wynter zu Christopher und wartete darauf, dass er übersetzte. Er allerdings verharrte mitten in der Bewegung, das Unterhemd halb übergezogen, und wurde zu Wynters Verblüffung flammend
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