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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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censi geführt wurde, den besitzlosen Römern. Seine Herkunft qualifizierte Sulla für eine glänzende politische Laufbahn, den cursus honorum . Seine Geburt berechtigte ihn, Konsul zu werden.
    Aber Lucius Cornelius Sulla war arm. Sein Vater hatte ihm außer dem Bürgerrecht nichts hinterlassen, er hatte nicht einmal genug besessen, um seinen Sohn in die unterste der fünf Vermögensklassen eintragen zu lassen. Auf Sulla wartete kein roter Streifen auf der Tunika, weder der schmale Streifen der Ritter noch der breite Streifen der Senatoren. Wenn er sagte, daß er aus dem Geschlecht der Cornelier stamme, wurde er ausgelacht. Schließlich gehörte das Geschlecht der Cornelier zu den vier ältesten der fünfunddreißig römischen Tribus, und es war unvorstellbar, daß ein Mitglied dieser Familie zu den capite censi gehörte.
    An seinem dreißigsten Geburtstag hätte Sulla eigentlich Senator werden sollen - die Zensoren hätten ihn entweder als gewählten Quästor oder allein aufgrund seiner Abstammung in den Senat berufen müssen. Statt dessen war er der Gespiele zweier ordinärer Weiber, und es bestand nicht die geringste Hoffnung, daß er jemals die nötigen Mittel würde aufbringen können, um sein Geburtsrecht wahrzunehmen. Im nächsten Jahr würde ein Zensus stattfinden. Sulla wünschte sich, stolz vor die Zensoren auf dem Forum Romanum treten zu können, um ihnen ein Jahreseinkommen von einer Million Sesterze vorzuweisen! Denn das war das Mindesteinkommen für einen Senator. Oder wenigstens 400 000 Sesterze, das Mindesteinkommen für einen Ritter! Doch er besaß nichts, sein jährliches Einkommen hatte 10 000 Sesterze nie überstiegen, und er ließ sich von Frauen aushalten. Unter die Armutsgrenze fiel in Rom, wer sich nicht einmal einen Sklaven halten konnte, und so gesehen hatte Sulla schon einige Male unter der Armutsgrenze gelebt. Er, ein patrizischer Cornelius!
    In jenen zwei Jahren, als er tapfer den Verlockungen Clitumnas widerstanden und in dem Mietshaus auf dem Esquilin gehaust hatte, hatte er auf den Docks im Hafen Arbeit suchen müssen, hatte Weinkrüge geschleppt und Weizenurnen verladen, nur damit er sich einen Sklaven leisten konnte. Denn niemand sollte merken, daß er im Elend lebte. Mit zunehmendem Alter wuchs auch sein Stolz oder genauer - das Bewußtsein seiner Erniedrigung. Er hatte stets dem Drang widerstanden, sich eine regelmäßige Arbeit zu suchen, ein Handwerk in einer Gießerei oder Zimmerei zu erlernen, als Schreiber in einem Kontor oder als Schriftenkopierer für einen Verlag oder eine Leihbücherei zu arbeiten. Wer auf den Docks, auf den Märkten und auf Baustellen arbeitete, brauchte keine lästigen Fragen zu beantworten. Wer regelmäßig am selben Arbeitsplatz erschien, mußte alle möglichen Fragen beantworten. Nicht einmal Soldat konnte er werden, denn auch dafür hätte er Vermögen nachweisen müssen. Von der Geburt her hätte er Feldherr sein können, aber er hatte noch nie ein Schwert getragen, auf einem Pferd gesessen oder einen Speer geworfen, nicht einmal auf den Exerzierplätzen des Campus Martius bei der Villa Publica.
    Hätte er irgendeinen entfernten Verwandten angebettelt - denn nähere Verwandte hatte er nicht mehr -, so wäre sein Schicksal vielleicht durch ein großzügiges Darlehen gemildert worden. Doch sein Stolz, der ihm immerhin gestattete, sich von ordinären Frauen aushalten zu lassen, hinderte ihn daran, zum Bittsteller zu werden. Lieber wollte er ein Niemand bleiben, der niemandem etwas schuldete, als durch ein großes Darlehen in ein Klientelverhältnis geraten. Er, ein patrizischer Cornelius!

    Ohne ein bestimmtes Ziel stürmte er aus dem Haus seiner Stiefmutter. Nur in der feuchten Luft durchatmen und den ganzen Arger hinter sich lassen! Clitumna hatte sich einen für ihre Verhältnisse ungewöhnlichen Wohnort ausgesucht. In ihrer Straße wohnten erfolgreiche Advokaten, Hinterbänkler aus dem Senat und Ritter mit mittleren Einkommen. Die Straße verlief zwar weit unten am Hang des Palatin und bot deshalb keine schöne Aussicht, aber sie lag angenehm nah am politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Stadt, dem Forum Romanum, und den Markthallen und Plätzen in seiner Umgebung. Natürlich schätzte Clitumna auch die Sicherheit dieses Viertels, das weit von der Subura mit ihren engen Gassen und finsteren Gestalten entfernt war, wenngleich Clitumnas lärmenden Feste und zweifelhafte Freunde schon zu manch wütendem Streit mit den Nachbarn geführt hatten.

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