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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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vergrabener, verwester Leichen. Im vergangenen Sommer waren der gesamte Viminal und der obere Teil des Esquilin in Flammen aufgegangen. Es war das schrecklichste Feuer seit Menschengedenken gewesen: Ungefähr ein Fünftel der Stadt war niedergebrannt, bevor es gelungen war, mit vereinten Kräften eine so breite Bresche zwischen die Häuser zu schlagen, daß das Flammenmeer vor den überfüllten Mietshäusern der Subura und dem unteren Teil des Esquilin zum Stehen gebracht werden konnte. Glücklicherweise hatten der Wind und der breite Vicus Longus verhindert, daß das Feuer sich auf den dünner besiedelten Quirinal ausbreitete, den nördlichsten Hügel innerhalb der Stadtmauern.
    Obwohl inzwischen ein halbes Jahr vergangen war, war die schreckliche Narbe, die der Brand hinterlassen hatte, noch deutlich zu erkennen. Eine ganze Quadratmeile verbrannter Erde, halb eingestürzter Gebäude, Öde. Wieviele Menschen ums Leben gekommen waren, wußte niemand. Mehr als genug jedenfalls, denn danach hatte es keinen Mangel an Wohnungen gegeben, obwohl der Wiederaufbau nur langsam voranging. Hier und da ragten hölzerne Gerüste hundert Fuß oder noch höher auf, Zeichen für einen neuen Typ mehrstöckiger Mietshäuser, die die Taschen so mancher Vermieter füllen würden.
    Belustigt registrierte Sulla, daß Licinia und Domitia sich in seiner Gegenwart höchst unbehaglich fühlten und ihn am liebsten nicht erkannt hätten. Geschah ihnen ganz recht, sollten sie doch leiden, die dummen Weiber! Ob sie wußten, daß er mit beiden geschlafen hatte? Kaum. Diese Vorstellung verlieh der Begegnung eine zusätzliche pikante Note. Mit flinken Augen beobachtete er, wie sie einander versteckte Blicke zuwarfen und zu Marcia und den anderen Frauen hinüberschielten. Nein, doch nicht Marcia! Diese Säule des Anstands, dieses Monument der Tugend!
    »Es war eine furchtbare Woche damals«, sagte Licinia schrill, die Augen starr auf das verbrannte Gelände gegenüber gerichtet.
    »Ja«, sagte Domitia und räusperte sich.
    »Es war so schrecklich!« schnatterte Licinia weiter. »Wir wohnten damals auf den Carinae, Lucius Cornelius, und das Feuer kam immer näher. Als es endlich vorbei war, habe ich Appius Claudius überredet, in diesen Teil der Stadt zu ziehen. Man ist nirgendwo sicher vor Feuer, aber es ist bestimmt besser, wenn man zwischen sich und der Subura das Forum und die Sümpfe hat! «
    »Es war herrlich«, sagte Sulla. Er dachte daran, wie er in jener Woche Nacht für Nacht auf den Stufen des Vestatempels gestanden und dem Feuer zugeschaut hatte. Angesichts der grauenvollen Pracht war er sich vorgekommen wie ein Feldherr, der die Plünderung einer feindlichen Stadt angeordnet hat. »Herrlich!« wiederholte er.
    Der hämische Ton seiner Stimme veranlaßte Licinia nun doch, ihm in die Augen zu schauen, aber was sie dort sah, ließ sie schnell wieder wegsehen. Sie bereute bitter, daß sie sich jemals in die Hände dieses Mannes begeben hatte. Sulla war nicht nur gefährlich, er war offenbar auch nicht ganz richtig im Kopf.
    »Und doch hat alles auch sein Gutes«, sagte sie mit einem krampfhaften Lächeln. »Meine Vettern Publius und Lucius Licinius haben danach eine Menge Brachland erworben. Sie sagen, daß der Wert in den kommenden Jahren unermeßlich steigen wird.«
    Licinia gehörte zur Familie des Multimillionärs Licinius Crassus. Warum suchte sich Sulla keine reiche Braut wie Appius Claudius Pulcher, der Licinia geheiratet hatte? Ganz einfach! Weil kein reicher und adliger Vater, Bruder oder Vormund einer solchen Heirat zustimmen wurde.
    Mit einem Mal machte es ihm keinen Spaß mehr, mit den Frauen zu spielen. Wortlos drehte er sich um und stapfte den Clivus Victoriae hinauf. Im Vorübergehen bemerkte er, daß die beiden Julias zur Ordnung gerufen worden waren und wieder neben ihrer Mutter unter dem Zeltdach saßen. Seine hellen Augen streiften sie, glitten über das größere der beiden Mädchen hinweg und blieben an der kleinen Schwester hängen. Ein süßes Geschöpf! Ein in Nektar getauchter Honigkuchen, eine göttliche Speise. Er verspürte einen Stich in der Brust. Zugleich entging ihm freilich nicht, daß die kleine Julia sich auf ihrem Klappstuhl umgedreht hatte und ihm nachsah.
    Er ging die Stufen zum Forum Romanum hinab und stieg dann den Clivus Capitolinus hinauf, bis er bei der Menschenmenge anlangte, die sich vor dem Tempel des Jupiter Optimus Maximus versammelt hatte. Zwar war er nicht zu der Feier eingeladen worden und

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