MoR 01 - Die Macht und die Liebe
blauer Hintern, eine hüpfende entblößte Brust, eine hüpfende blonde Perücke, eine hüpfende Schlange und ein hüpfender gefiederter Knabe. Ihren Höhepunkt erreichte die Hüpferei, als Sulla mit Metrobius hinter einem Sofa verschwand und den Knaben dort liebte. Leider war die Ecke den Blicken der anderen nicht so verborgen, wie die beiden gehofft hatten.
Natürlich hatte Sulla gewußt, daß er einen furchtbaren Fehler beging, doch genützt hatte das nichts. Von dem Augenblick an, als er die an den seidigen Schenkeln herunterlaufende Farbe gesehen und einen Blick in die glänzenden schwarzen Augen mit den langen Wimpern geworfen hatte, war es um ihn geschehen. Er war dem Knaben hoffnungslos verfallen. Und als er mit den Fingern über das gerüschte Röckchen strich, das der Knabe trug, und es gerade so weit lüftete, daß er die Schönheit des unbehaarten, mattgoldenen Schatzes darunter sehen konnte, gab es kein Halten mehr. Er hatte den Knaben hinter ein Sofa drängen und ihn besitzen müssen.
Fast wäre aus der Posse eine Tragödie geworden. Clitumna ergriff einen kostbaren Kelch aus Alexandriner Glas, zertrümmerte ihn und ging mit den Scherben in der Hand auf Sulla los. Nikopolis stürzte sich daraufhin mit einem Weinkrug auf Clitumna, Skylax bearbeitete Metrobius mit einem seiner Plateauschuhe. Gebannt sah die Festgesellschaft dem Spektakel zu. Zum Glück war Sulla noch nicht so betrunken, daß er nicht mehr Herr seiner Kräfte gewesen wäre. Er machte kurzen Prozeß und schlug Skylax so gewaltig auf sein dick geschminktes Auge, daß es für mindestens einen Monat zuschwoll. Den langen, nackten Beinen der Diana verpaßte er einen Köcher voll spitzer Pfeile, Clitumna legte er übers Knie und schlug ihre blaubemalten Hinterbacken so lange, bis sie schwarz waren. Dann dankte er dem Knaben mit einem sehnsuchtsvollen Zungenkuß und begab sich mit einem überwältigenden Gefühl des Ekels zu Bett.
Erst am Neujahrsmorgen begriff Sulla, was sich abgespielt hatte: keine Posse und auch keine Komödie, sondern eine Tragödie, nicht minder sonderbar und voller häßlicher Verwicklungen wie eine der Tragödien, die Sophokles in tiefster Verzweiflung über das Treiben der Götter und Menschen geschrieben hatte. Heute, am ersten Tag des neuen Jahres, hatte Sulla Geburtstag. Er war jetzt genau dreißig Jahre alt.
Er wandte sich den beiden raufenden und keifenden Frauen zu und sah sie so voller Zorn, Schmerz und Abscheu an, daß sie augenblicklich verstummten. Reglos hockten sie da wie Statuen, während er eine frische weiße Tunika anzog und sich von einem Sklaven in eine Toga hüllen ließ, die er in den letzten Jahren höchstens zu Theaterbesuchen angezogen hatte. Erst als er gegangen war, kam wieder Bewegung in die Frauen. Sie starrten einander an, und dann jammerten und weinten sie, ohne zu verstehen, daß sie nicht um sich, sondern um ihn weinten.
In Wirklichkeit war das Leben des Lucius Cornelius Sulla eine einzige Lüge. Er hatte sich schon immer etwas vorgelogen. Die Welt, in der er dreißig Jahre lang gehaust hatte - eine Welt von Säufern, Bettlern, Schauspielern, Dirnen, Betrügern und freigelassenen Sklaven - war nicht seine Welt.
In Rom gab es unzählige Familien mit dem Namen Cornelius. Sie trugen diesen Namen, weil ein Vater, Großvater oder anderer Vorfahr irgendwann einmal als Sklave oder Bauer zum Haushalt eines Patriziers namens Cornelius gehört hatte. War der Vorfahr anläßlich einer Heirat, Geburt oder Beerdigung aus der Leibeigenschaft entlassen worden oder hatte er sich mit eigenen Ersparnissen freigekauft, hatte er den Namen seines Herrn übernommen. Er nannte sich fortan auch Cornelius und blieb dem Geschlecht, dessen Namen er das Bürgerrecht verdankte, als Klient verbunden.
Mit Ausnahme von Clitumna und Nikopolis gingen auch alle Bekannten Sullas wie selbstverständlich davon aus, daß Sulla ein solcher Cornelius war, also der Sohn, Enkel oder Urenkel eines Sklaven oder Bauern. Seiner hellen Hautfarbe nach eher eines Sklaven als eines Bauern. Natürlich gab es Patrizier, die Cornelius Scipio, Cornelius Lentulus oder Cornelius Merula hießen, aber wer hatte je von einem Patrizier namens Cornelius Sulla gehört? Kein Mensch wußte, was der Name Sulla überhaupt bedeutete!
Lucius Cornelius Sulla aber war tatsächlich ein Patrizier, der Sohn eines Patriziers, der Enkel eines Patriziers und so fort bis in die Zeit der Gründung Roms, auch wenn er in den Listen der Zensoren unter den capite
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