MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Möglichkeiten, eine freie Wohnung zur Vermietung anzubieten. Der Hausbesitzer konnte eine Notiz an seiner Haustür anbringen, an den Wänden seiner Ladenräume, an den Eingängen der öffentlichen Bäder und Latrinen sowie an jeder Wand, die einem Freund gehörte, und eine solche Nachricht verbreitete sich auch mündlich. Da Aurelias insula als besonders sicher bekannt war, gab es keinen Mangel an Bewerbern für die Wohnung. Aurelia sprach mit allen persönlich, manche gefielen ihr, manche schienen ihr vertrauenswürdig, manchen hätte sie die Wohnung selbst dann nicht gegeben, wenn sie die einzigen Interessenten gewesen wären. Aber niemand entsprach genau ihren Vorstellungen, so suchte sie weiter und führte Gespräch um Gespräch.
Sieben Wochen vergingen, bis sie endlich ihren idealen Mieter gefunden hatte. Er hieß Gaius Matius, war Ritter und Sohn eines Ritters, ungefähr so alt wie Caesar, und seine Frau war im gleichen Alter wie Aurelia. Beide waren wohlerzogen und gebildet, hatten etwa zur gleichen Zeit geheiratet wie Caesar und Aurelia, und sie hatten ein kleines Mädchen in Lias Alter. Außerdem waren sie gut betucht. Seine Frau hieß Priscilla, der Name kam wohl eher vom cognomen als vom gentilnomen ihres Vaters, aber in all den Jahren, in denen die Familie im gleichen Haus wohnte, fand Aurelia nie heraus, wie Priscilla eigentlich hieß. Die Familie Matius verdiente ihr Geld mit der Vermittlung von Geschäften und der Abfassung von Verträgen. Der Vater von Gaius Matius lebte mit seiner zweiten Frau und sehr viel jüngeren Kindern in einem geräumigen Haus auf dem Quirinal. Aurelia überprüfte diese Angaben sorgfältig, und als sie sicher war, daß alles der Wahrheit entsprach, vermietete sie Gaius Matius die Parterrewohnung für die stattliche Summe von zehntausend denarii jährlich. Epaphroditos’ wertvolle Wandmalereien und der schöne Mosaikboden trugen nicht wenig dazu bei, daß der Mietvertrag zustande kam, und ebenso die Abmachung, daß Aurelia in Zukunft ihre Mietverträge von der Firma Gaius Matius und Sohn aufsetzen lassen würde.
Denn inzwischen zogen nicht mehr die Makler die Mieten ein, sondern Aurelia kümmerte sich selbst um ihre insula . Für alle Wohnungen sollten schriftliche Mietverträge aufgestellt werden, die alle zwei Jahre verlängert werden konnten. Die Mietverträge enthielten Klauseln, die den Schadenersatz im Falle einer Beschädigung der Wohnung regelten und die Mieter davor schützten, vom Vermieter übervorteilt zu werden.
Aurelias Wohnzimmer verwandelte sich allmählich in ein Büro, in dem sich die Rechnungsbücher stapelten. Ihre früheren Beschäftigungen hatte sie aufgegeben, nur der Webstuhl stand noch da. Sorgfältig arbeitete sie sich in die vielfältigen Aufgaben einer Hausbesitzerin ein. Sie holte sich alle Unterlagen von den früheren Hausverwaltern und ging Berge von Akten durch: Adressenlisten von Steinmetzen, Malern, Gipsern, Händlern aller Art, Aufstellungen über Wassergeld, Steuer, Landrechte, Sammlungen von Rechnungen und Quittungen. Ein großer Teil der Einnahmen mußte sofort wieder ausgegeben werden, denn der Staat stellte das Wasser und die Kanalisation in Rechnung, und für jedes Fenster der insula , für jede Tür, die auf die Straße hinausführte, für jede Treppe zu jedem Stockwerk mußte eine Gebühr entrichtet werden. Ständig fielen Reparaturen an, obwohl die insula zweifelsohne sehr solide gebaut war. Mehrere Zimmermänner standen auf der Liste, Aurelia verglich die Rechnungen sorgfältig und fand schließlich den heraus, der die meiste Arbeit in der kürzesten Zeit geleistet zu haben schien. Sie bestellte ihn zu sich und wies ihn an, die hölzernen Gitter zu entfernen, mit denen der Lichtschacht ausgekleidet war.
Seit sie mit Caesar in die insula gezogen war, verfolgte sie diesen Plan - Aurelia wünschte sich sehnlich, einen Garten anzulegen. Sie träumte davon, den ungepflegten Innenhof in eine Oase für alle Bewohner des Hauses zu verwandeln. Doch alles schien sich gegen sie verschworen zu haben, angefangen mit Epaphroditos, der auch den Hof benutzen durfte. Caesar hatte das seltsame Treiben in der anderen Wohnung selbst nie beobachtet, denn Epaphroditos war gewitzt genug gewesen, dafür zu sorgen, daß seine Ausschweifungen nur stattfanden, wenn Caesar außer Haus war. Und Aurelia hatte lernen müssen, daß Caesar insgeheim die Berichte von Frauen immer für übertrieben hielt.
Alle oberen Stockwerke hatten einen Balkon zur Hofseite
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