Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
V ORBEMERKUNG :
»Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei«, lehrte uns einst Stephan Remmler.
Und da es in diesem Buch um Schinken und Wurst geht, hat auch dieser Krimi zwei Enden.
Und zwei Anfänge.
Oder drei.
Auf die Wurst übertragen: sechs Enden.
Wie kommen wir da jetzt wieder raus?
Indem wir einfach mit einem Anfang beginnen.
Genauer gesagt:
mit einem Anfang vor dem Anfang:
Als ich die Augen öffnete, stellte ich fest, dass ich blind war.
Vielleicht war es auch nur Nacht, und die Vorhänge waren zugezogen.
Ich überlegte, wo ich war.
Nicht in meinem Schlafzimmer, nicht in meinem Bett.
Es war kalt, und ich lag auf dem Boden.
Ich lauschte. Nur ein leises, allgegenwärtiges Brummen war zu hören.
Ich versuchte, mich zu erinnern, aber die Erinnerung war ein noch schwärzeres Loch als die Gegenwart.
Die einzige Erklärung, die mir einfiel, war, dass ich plötzlich umgefallen sein könnte. Schlaganfall. Herzattacke …
Aber für ein Krankenhausbett war meine Unterlage eindeutig zu unbequem. Oder ich lag in einer Art Röntgenröhre. Das würde den Brummton erklären.
Dagegen sprach jedoch, dass ich eindeutig zu viel Platz hatte. Ich streckte die Hände nach oben und stieß auf kein Hindernis.
Langsam setzte ich mich auf. Mein Kopf schmerzte, als würde eine Kreissäge darin wüten.
Als ich endlich saß, sah ich noch immer nichts. Normalerweise gewöhnen sich die Augen nach ein paar Minuten an die Dunkelheit. Von irgendwoher dringen immer ein paar Lichtfetzen herein. Hier nicht.
Bei dem Gedanken, dass ich wirklich blind war, klopfte mein Herz heftiger. Das Gefühl der Hilflosigkeit verstärkte sich. Ich spürte Panik aufkommen.
Ich wagte nicht, mich aufzurichten, sondern kroch über den kalten Boden, doch ich stieß sofort gegen eine Wand. Ich versuchte die andere Richtung. Auch dort ging es nicht weiter. Drei Meter, mehr waren es nicht.
Ich bekam Platzangst.
Langsam richtete ich mich nun doch auf. Und stieß schmerzhaft mit dem Kopf gegen ein Hindernis. Ich konnte mich nur gebückt vorwärtsbewegen.
Es wurde immer kälter. Wenn ich etwas hätte sehen können, so wäre mein Atem als weiße Wolke sichtbar gewesen. Meine Finger waren schon eiskalt. Ich zog meine Ärmel weiter herunter, sodass sie meine Hände bedeckten. Dann tastete ich mich an der Wand entlang.
Nach zwei Minuten hatte ich mein Gefängnis erkundet. Es war ungefähr drei Meter lang, zwei Meter breit und einen Meter siebzig hoch. An einigen Stellen war es höher, und ich konnte aufrecht stehen.
Ich fragte mich, woran ich mir den Kopf gestoßen hatte, und tastete danach. Es waren längliche bis kugelförmige Gebilde. Manche waren rau, andere fast glitschig.
Ich roch Leberwurst und Schinken, Mettwurst und andere Köstlichkeiten.
Und plötzlich wusste ich, wo ich war.
In einer Kühlkammer.
P ROLOG
Es gibt Verbrechen ohne Sühne.
Es gibt aber auch Verbrechen ohne Schuld.
Massentierhaltung ist ein Verbrechen, ohne dass jemand im juristischen Sinne schuldig ist, also rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.
Ich fühle mich selten schuldig, wenn ich Fleisch esse, gekauft beim Metzger meines Bauches. Ich lade meine Schuld ab bei ihm.
Lotte Unverzagt, geb. Schneider, wurde am 4. 8. 1920 in Hagen/Westfalen geboren. Gestorben ist sie am 24. 5. 2012 in Horn. An der Wand über dem Bett ihres Zimmers im Pflegeheim hing ein gestickter Spruch: »Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.«
Manche Pflegeheime sind ein Verbrechen. Trotzdem heißen sie »Waldesruh«, »Fürstenwald« oder »Buchenhof«, haben ein »Schloss« im Namen oder – für die Frommen – ein »Stift«. Oder sie suggerieren mit ihrem Namen eine scheinbare Idylle wie »Am Weinberg« oder »Am Volksgarten«. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, als die Insassen der Heime noch rüstig zu Fuß waren.
»Zur weißen Taube« heißt eines. Wenn ich meine Eltern in Dortmund besuche, komme ich jedes Mal dort vorbei. Und dann muss ich lächeln, denn bei den weißen Tauben denke ich gleich an Beerdigung. Überhaupt: Manche der Namen – vor allem die mit »Ruh« – bereiten in ihrer Einfalt schon auf die letzte Fahrt im schwarzen Wagen vor: zur letzten Ruhestätte sozusagen.
Auch hier laden wir unsere Schuld oder wenigstens unser schlechtes Gewissen ab. Unsere Alten werden es schon irgendwie gut haben in diesen Residenzen des schleichenden Sterbens.
Während ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass wir früher einfach Altenheim gesagt haben.
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