MoR 01 - Die Macht und die Liebe
meinem Grund und Boden.«
»Das hier gehört nicht dir, sondern dem Staat, Gnädigste!«
»Das stimmt nicht.« Aurelias Augen hatten sich allmählich an die düstere Beleuchtung gewöhnt, und sie blickte sich um. »Dieser Ort ist eine Schande. Du kümmerst dich überhaupt nicht darum. Ich kündige dir hiermit.«
Plötzlich hatte es allen die Sprache verschlagen. Lucius Decumius kniff die Augen zusammen. Er war jetzt auf der Hut. »Du kannst uns nicht kündigen.«
»Das wirst du schon sehen!«
»Ich werde mich beim Stadtprätor beschweren.«
»Tu das ruhig! Er ist ein Vetter von mir.«
»Dann gehe ich eben zum pontifex maximus .«
»Gut. Er ist auch ein Vetter von mir.«
Lucius Decumius ließ ein Schnauben vernehmen, es war schwer zu sagen, ob vor Wut oder vor Lachen. »Sie können ja wohl nicht alle deine Vettern sein!«
»Sie können, und sie sind es.« Aurelia zeigte ihre blendend weißen Zähne. »Mach keinen Fehler, Lucius Decumius. Du und deine dreckige Bande, ihr werdet verschwinden.«
Nachdenklich ließ Lucius Decumius seinen Blick über sie wandern und kratzte sich mit einer Hand am Kinn. Im Winkel seiner klaren, blauen Augen meinte Aurelia ein Zwinkern zu entdecken. Er trat zur Seite und wies mit einer galanten Armbewegung zu dem Tisch, von dem er gerade aufgestanden war. »Wie wäre es, wenn wir unser kleines Problem in aller Ruhe besprechen?« fragte er in butterweichem Ton wie Scaurus.
»Da ist nichts zu besprechen. Ihr verschwindet.«
»Ach was! Einen gewissen Verhandlungsspielraum gibt es doch immer. Also, Gnädigste, am besten setzen wir beide uns erst einmal hin«, schmeichelte Lucius Decumius.
Mit Schrecken bemerkte Aurelia, daß sie diesen Lucius Decumius eigentlich ganz gut leiden konnte! Lächerlich. Aber es war so.
»Also gut. Cardixa, stell dich hinter meinen Stuhl.«
Lucius Decumius zog einen Stuhl für sie heran und nahm selber auf der Bank Platz. »Einen Schluck Wein, Gnädigste?«
»Auf keinen Fall.«
»Also?«
»Also was?« fragte Lucius Decumius.
»Du wolltest etwas besprechen.«
»Ach ja, stimmt, so war’s.« Lucius Decumius räusperte sich. »Tja, was war es noch einmal genau, was dich stört?«
»Deine Anwesenheit unter meinem Dach.«
»Sachte, sachte. Das ist ja vielleicht ein bißchen sehr allgemein gesprochen, oder? Wir werden uns sicher irgendwie einigen können - jetzt erzählst du mir mal, was du auszusetzen hast, und dann kümmere ich mich drum, so gut ich kann.«
»Wie schäbig und heruntergekommen es hier aussieht. Der Dreck. Der Lärm. Daß ihr glaubt, euch gehört die Straße, das ganze Viertel, alles, und nichts davon stimmt!« Aurelia zählte einen Punkt nach dem anderen auf. »Vor allem eure kleinen Geschäfte in der Nachbarschaft! Anständige Geschäftsleute in Angst und Schrecken versetzen! Sie auspressen wie Zitronen! Das ist abscheulich, niederträchtig, gemein!«
Lucius Decumius blickte sie ernst an und beugte sich ein wenig vor. »Es gibt Wölfe und Schafe auf dieser Welt, Gnädigste. Das ist die Natur. Wir wissen doch alle, daß auf jeden Wolf mindestens tausend Schafe kommen. Wir hier drinnen sind die Wölfe in diesem Revier; so mußt du dir das vorstellen. Dabei sind wir nicht einmal so böse wie Wölfe. Wir haben nur kleine Zähne, schnappen mal hier, mal dort zu, aber wir brechen niemandem das Genick.«
»Dein Vergleich ist abstoßend und kann mich kein bißchen umstimmen. Du verschwindest.«
»Oh, ich armer Kerl! Was bin ich für ein armer Tropf!« Lucius Decumius richtete sich auf und warf Aurelia einen schnellen Blick zu. »Sind sie wirklich alle Vettern von dir?«
»Mein Vater war der Konsul Lucius Aurelius Cotta. Mein Onkel ist der Konsul Publius Rutilius Rufus. Mein anderer Onkel ist der Prätor Marcus Aurelius Cotta. Mein Mann ist der Quästor Gaius Julius Caesar.« Aurelia lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, neigte den Kopf zur Schulter, schloß die Augen und säuselte süffisant: »Und Gaius Marius ist mein Schwager.«
»Ha, ha, und mein Schwager ist der König von Ägypten.« Lucius Decumius hatte genug Namen gehört.
»Dann gehst du am besten nach Ägypten zurück, würde ich vorschlagen.« Lucius Decumius’ kläglicher Versuch, sarkastisch zu sein, hatte Aurelia kein bißchen aus der Ruhe gebracht. »Der Konsul Gaius Marius ist mein Schwager.«
»Ja, ja, und die Schwägerin von Gaius Marius lebt selbstverständlich in einer insula im letzten verkommenen Winkel der Subura!« gab Lucius Decumius zurück.
»Die insula
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