MoR 01 - Die Macht und die Liebe
ein paar Tropfen. Dann aber, als das Korn gerade die Ähren bildete, goß es in Strömen, und Fluten und Fäulnis zerstörten die Ernte vollständig. Nur aus Africa würden ein paar Säcke Korn nach Puteoli und Ostia kommen. Und das bedeutete, daß die Getreidepreise in Rom jetzt im vierten Jahr hintereinander hoch sein würden, und daß viele Menschen würden hungern müssen.
Der zweite Konsul und flamen Martialis , Lucius Valerius Flaccus, mußte feststellen, daß die Kornspeicher unter den Abhängen des Aventin und neben dem Hafen leer waren. Auch in den privaten Kornspeichern entlang des Vicus Tuscus war nicht viel gelagert. Diese geringen Mengen, so teilten die Kornhändler Flaccus und seinen Ädilen mit, würden mehr als fünfzig Sesterze pro Scheffel kosten. Die meisten Proletarierfamilien konnten nicht einmal ein Viertel bezahlen. Es gab andere, billigere Nahrungsmittel, aber alles wurde teurer durch den erhöhten Verbrauch bei verminderter Produktion. Mägen, die an gutes Brot gewöhnt waren, gaben sich nicht mit dünnem Haferschleim und Steckrüben zufrieden, der üblichen Kost der Massen in Hungerzeiten. Die Starken und Gesunden überlebten, aber die Alten und die Schwachen, die Säuglinge und die Kranken starben in solchen Zeiten nur allzuoft.
Im Oktober gärte es unter den Proletariern, die übrigen Bürger der Stadt lebten in Angst und Schrecken. Wenn die Proletarier in Rom nichts zu essen hatten, konnte das niemand gelassen hinnehmen. Viele Bürger aus der Dritten und Vierten Vermögensklasse, die auch nur unter großen Mühen die Getreidepreise bezahlen konnten, bewaffneten sich, um ihre Speisekammern gegen die Übergriffe derer, die noch weniger hatten, zu verteidigen.
Lucius Valerius Flaccus beriet sich mit den Ädilen, die für die staatlichen Getreideeinkäufe, für Lagerung und Verkauf des staatlichen Getreides zuständig waren. Er beantragte im Senat, zusätzliche Mittel zum Kauf von Getreide zur Verfügung zu stellen und Getreide überall zu kaufen, wo man es bekommen konnte, Getreide aller Art - Gerste, Hirse, Emmer und Brotweizen. Aber die wenigsten Senatoren waren wirklich beunruhigt. Zu viele Jahre waren seit den letzten Hungeraufständen der besitzlosen proletarii vergangen, zu groß war die Distanz der Senatoren zu der Welt, in der die Armen lebten.
Die Lage wurde zusätzlich dadurch verschlimmert, daß die beiden jungen Männer, die als Quästoren für den Staatsschatz zuständig waren, zwei besonders arrogante und mitleidslose Senatoren waren, die Ärmsten kümmerten sie nicht. Beide hatten sich nach der Wahl zu Quästoren für den Dienst in Rom gemeldet und gesagt, sie wollten »der ungerechtfertigten Belastung des Staatsschatzes von Rom ein Ende machen« - was im Klartext bedeutete, daß sie weder für die Veteranen des Proletarierheeres noch für billiges Getreide auch nur einen Sesterz ausgeben wollten. Der Stadtquästor, der ältere der beiden, war kein anderer als der junge Caepio, der Sohn des Konsuls, der das Gold von Tolosa gestohlen und die Schlacht von Arausio verloren hatte. Der andere war Metellus das Ferkel, der Sohn des verbannten Metellus Numidicus. Beide hatten alte Rechnungen mit Gaius Marius zu begleichen.
Üblicherweise hielten sich die Senatoren an die Empfehlungen der Quästoren, die für den Staatsschatz zuständig waren. Als der junge Caepio und der junge Metellus im Senat über die finanzielle Lage Rechenschaft ablegen sollten, erklärten sie schlichtweg, für Getreidekäufe sei kein Geld da. Die Ausstattung, Besoldung und der Unterhalt des Proletarierheeres hätten den Staat so viel gekostet, daß er jetzt pleite sei. Weder der Krieg gegen Jugurtha noch der Krieg gegen die Germanen hätten auch nur annähernd genug Geld durch Beute und Tributzahlungen eingebracht, um das Loch in der Staatskasse zu stopfen. Als Beweis legten sie ihre Rechnungsbücher vor. Rom war bankrott. Wer nicht genug Geld habe, um die steigenden Getreidepreise bezahlen zu können, werde eben hungern müssen. So sei nun einmal die Lage. Leider.
Anfang November hatte es sich in ganz Rom herumgesprochen, daß es kein staatliches Korn zu vernünftigen Preisen geben würde, weil der Senat gegen zusätzliche Mittel für den Getreidepreis gestimmt hatte. Da die Nachricht als Gerücht von Mund zu Mund ging, war von Mißernten und mürrischen Quästoren keine Rede. Es hieß einfach, es werde kein billiges Korn geben.
Sofort füllte sich das Forum Romanum mit Menschen, die dort normalerweise
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