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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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nicht auftauchten. Die anderen Forumsbesucher verschwanden oder gingen in der Masse der Neuankömmlinge unter. Die Proletarier und die Bürger der Fünften Klasse waren gekommen, und ihre Stimmung war äußerst gereizt. Für die Senatoren war es ein Spießrutenlauf, wenn sie unter dem Zischen aus Tausenden von Kehlen über das Forum gingen, das sie doch als ihr angestammtes Revier ansahen. Zuerst ließen sie sich nicht einschüchtern, doch bald zischten die Leute nicht nur, sondern schleuderten einen Hagel von Dreck - Exkremente, Mist, stinkenden Schlamm aus dem Tiber, verrotteten Abfall. Der Senat setzte alle Versammlungen bis auf weiteres aus. Bankiers, Kaufleute aus dem Ritterstand, Advokaten und Beamte des Staatsschatzes waren jetzt die Unglücklichen, die ohne Unterstützung durch den Senat die Besudelungen über sich ergehen lassen mußten.
    Der zweite Konsul Flaccus war nicht energisch genug, um die Initiative zu ergreifen, er ließ den Dingen ihren Lauf, während Caepio und Metellus sich gegenseitig zu der gelungenen Tat beglückwünschten. Was machte es schon, wenn ein paar tausend capite censi in diesem Winter in Rom starben? Dann würde man in Zukunft weniger Mäuler zu stopfen haben.
    Als sich die Lage so weit zugespitzt hatte, berief der Volkstribun Lucius Appuleius Saturninus eine Versammlung der Plebs ein und schlug ihr ein Korngesetz vor. Der Staat sollte verpflichtet werden, auf der Stelle jede Unze Weizen, Gerste, Hirse in Italien und Gallia Cisalpina aufzukaufen und zu dem lächerlich geringen Preis von einem Sesterz pro Scheffel zu verkaufen. Natürlich sagte Saturninus nichts darüber, wie schwierig es sein würde, Getreide aus Gallia Cisalpina in die Gebiete südlich des Apennin zu verschiffen, und er verschwieg auch, daß es südlich des Apennin praktisch nirgendwo Getreide gab. Er wollte die Massen hinter sich bringen, wollte als der Retter in der Not dastehen.
    Da der Senat keine Versammlungen abhielt, gab es fast keinen Widerstand, denn jeder in Rom, der nicht zu den ganz Reichen gehörte, war von der Getreideknappheit betroffen. Alle Kaufleute, die mit Lebensmitteln zu tun hatten, waren für Saturninus’ Gesetz, ebenso die Dritte und Vierte Klasse und selbst viele Zenturien der Zweiten Klasse. Als der November zur Hälfte vorüber war und sich dem Dezember zuneigte, war ganz Rom auf Saturninus’ Seite.
    »Wenn die Menschen sich kein Getreide leisten können, dann können wir es uns nicht leisten, Brot zu backen!« schrieen die Bäcker und Müller.
    »Wenn die Menschen hungrig sind, arbeiten sie nicht gut!« schrieen die Bauunternehmer.
    »Wenn die Menschen nicht genug Geld haben, um ihre Kinder satt zu kriegen, was wird dann mit ihren Sklaven passieren?« schrieen die Freigelassenen.
    »Wenn die Menschen ihr ganzes Geld für Nahrungsmittel ausgeben müssen, werden sie ihre Miete nicht bezahlen können!« schrieen die Hausbesitzer.
    »Wenn die Menschen so hungrig sind, daß sie anfangen, die Läden zu plündern und Marktstände umzuwerfen, was geschieht dann mit uns?« schrieen die Kaufleute.
    »Wenn die Menschen auf der Suche nach Nahrung unsere Gärten zertrampeln, haben wir nichts zu verkaufen!« schrieen die Gärtner.
    Es ging nämlich nicht nur darum, daß ein paar tausend Proletarier verhungern würden. Wenn sich Roms Mittel- und Unterschicht das Essen nicht mehr leisten konnte, bedeutete das Verluste für viele andere Firmen und Geschäfte. Eine Hungersnot war, kurz gesagt, eine wirtschaftliche Katastrophe. Aber der Senat trat nicht zusammen, nicht einmal in abseits gelegenen Tempeln, und so hing es an Saturninus, eine Lösung vorzuschlagen. Doch seine Lösung beruhte auf einer falschen Voraussetzung - nämlich auf der Voraussetzung, daß es Korn gab, das der Senat kaufen könnte. Saturninus glaubte felsenfest, daß es Korn gab und daß die Krise nur inszeniert war - von der konservativen Clique im Senat und den großen Getreidehändlern.
    Tausende von Gesichtern auf dem Forum reckten sich ihm entgegen wie die Blumen der Sonne. Die Macht seiner Redekunst begeisterte ihn selbst, er glaubte bald jedes Wort, das er in die Menge schrie. Er glaubte, was er auf jedem Gesicht in der Menge las, er glaubte, Rom könnte auf eine völlig neue Art regiert werden. Was bedeutete schon das Amt des Konsuls? Was bedeutete schon der Senat, wenn eine Menschenmenge wie diese genügte, daß die Senatoren die Schwänze einzogen und sich in ihre Häuser verkrochen? Wenn es darauf ankam, zählte nur diese

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