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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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die Tatsache verbergen können, daß er müde war. Seine innere Stimme sprach gegen ihn, und alle Welt konnte das sehen. Als ihm das klar wurde, begehrte er auf. Julia, die sich ohnehin gewundert hatte, wie lange er brav und gehorsam geblieben war, gab sofort nach. Er ließ Publius Rutilius kommen und kehrte nach Rom zurück, um die Scherben zusammenzukehren, soweit das möglich war.
    Marius wußte natürlich, daß Saturninus seine Pläne nicht aufgeben wurde. Aber wenigstens hatte er ihn gewarnt. Wegen Glaucia machte er sich keine Sorgen, niemals würde man Glaucias Wahl zulassen. Zumindest konnte jetzt gewählt werden. Die Wahl der Volkstribunen war für den Tag vor den Nonen angesetzt, die der Quästoren für die Nonen, den Tag, an dem sie eigentlich ihr Amt aufnehmen sollten. Es wurden turbulente Wahlen werden, denn sie mußten auf dem Versammlungsplatz auf dem Forum Romanum stattfinden, und noch immer drängten sich dort die Menschenmassen. Sie brüllten wüste Beschimpfungen, bewarfen die Togaträger mit Dreck, drohten ihnen mit den Fäusten und lauschten in blinder Andacht Saturninus’ Reden.
    Gaius Marius beschimpften und bewarfen sie nicht. Auf dem Heimweg nach jener denkwürdigen Versammlung spürte er nur Wärme und Liebe und Bewunderung. Niemand, der aus einer Klasse unterhalb der Zweiten Vermögensklasse kam, wurde Gaius Marius je unfreundlich behandeln. Wie die Gracchen, war er ihr Held. Manche sahen ihm ins Gesicht und weinten über die Verwüstung, manche hatten ihn nie zuvor leibhaftig gesehen und hielten sein Gesicht für normal, wie es war, und bewunderten ihn nur um so mehr. Niemand versuchte, ihn anzufassen, alle traten zurück, um ihm eine Gasse freizugeben. Stolz und doch ehrerbietig schritt er durch die Reihen, sein Herz und sein Geist reckten sich den Menschen entgegen. Eine wortlose Vereinigung. Saturninus, der alles von der Rednerbühne aus beobachtete, staunte.
    »Ist die Masse nicht ein eindrucksvolles Phänomen?« fragte Sulla später beim Abendessen. Auch Publius Rutilius Rufus und Julia waren dabei.
    »Ein Zeichen der Zeit, in der wir leben«, sagte Rutilius.
    »Ein Zeichen dafür, daß wir sie betrogen haben.« Marius runzelte die Stirn. »Rom braucht eine Ruhepause. Seit Gaius Gracchus waren wir dauernd in ernsten Schwierigkeiten - Jugurtha, die Germanen, die Skordisker, die Unzufriedenheit der Bundesgenossen, Sklavenaufstände, Piraten, Getreideknappheit, die Liste nimmt kein Ende. Wir brauchen eine Ruhepause, ein bißchen Zeit, uns um Rom zu kümmern und nicht nur um uns selber. Hoffentlich bekommen wir jetzt diese Ruhepause. Wenn die Getreideversorgung besser wird, dann auf jeden Fall.«
    »Ich habe eine Nachricht von Aurelia«, sagte Sulla.
    Marius, Julia und Rutilius Rufus blickten ihn neugierig an.
    »Du triffst dich mit ihr, Lucius Cornelius?« fragte Rutilius Rufus, ganz der wachsame Onkel.
    »Du mußt dich nicht gleich wie eine Glucke aufführen, Publius Rutilius! Ja, ich treffe sie ab und zu, wir sind in gewisser Weise Gleichgesinnte. Sie sitzt dort unten in der Subura, und das ist auch meine Welt. Ich habe dort immer noch Freunde, Aurelia liegt gewissermaßen auf meinem Weg.«
    »Ach je, ich hätte sie auch zum Abendessen einladen sollen«, sagte Julia und bedauerte ihr Versehen. »Dort unten vergißt man sie so leicht.«
    »Das nimmt sie dir nicht übel«, sagte Sulla. »Versteht mich nicht falsch, sie liebt ihre Welt. Aber sie bleibt gern auf dem laufenden, was die Ereignisse auf dem Forum betrifft, und das ist meine Aufgabe. Du bist ihr Onkel, Publius Rutilius, du willst immer alle Schwierigkeiten von ihr fernhalten. Ich dagegen erzähle ihr alles. Ich stelle immer wieder verblüfft fest, wie klug sie ist.«
    »Wie lautet die Botschaft?« fragte Marius und nippte an einem Glas Wasser.
    »Sie stammt von ihrem Freund Lucius Decumius, dem eigenartigen kleinen Kerl, der den Kreuzwegeverein in ihrem Mietshaus leitet, und lautet ungefähr so: Wenn ihr geglaubt habt, es drängten sich Massen auf dem Forum, habt ihr bis jetzt noch gar nichts gesehen. An dem Tag, an dem die Volkstribunen gewählt werden, werdet ihr nicht in eine Pfütze, sondern in ein Meer von Gesichtern schauen.«
     
    Lucius Decumius behielt recht. Bei Sonnenaufgang stiegen Gaius Marius und Lucius Cornelius Sulla auf die Arx des Kapitols. Sie lehnten an der niedrigen Brüstung, vor der die Mauern der Lautumiae steil abfielen, das Forum Romanum lag direkt unter ihnen. So weit das Auge reichte, erblickten sie

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