MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Vergnügen. »Such du nur, solange es dir Spaß macht, Quintus Lutatius! Das wird nichts nützen. Denn auch nach Ablauf dieses Amtsjahres werde ich kein privatus sein, weil ich mich nämlich wieder zum Volkstribunen wählen lasse! Ja, ich habe von Gaius Marius gelernt, und ich werde euch keinen Grund liefern, daß ihr nach meinem Blut lechzen könnt! Mit welchen gesetzlichen Bestimmungen wollt ihr mich hindern? Nichts kann mich davon abhalten, daß ich mich jedes Jahr wieder zur Wahl stelle!«
»Es gibt Gebräuche, Traditionen«, sagte Scaurus. »Außer dir und Gaius Gracchus haben sich bisher alle daran gehalten. Kein Volkstribun hat eine dritte Amtszeit angestrebt. Und Gaius Gracchus sollte dir eine Warnung sein! Nur ein Sklave war bei ihm, als er im Hain der Furrina starb.«
»Ich werde bessere Gesellschaft haben«, gab Saturninus zurück. »Wir Männer aus Picenum halten zusammen. Stimmt’s, Titus Labienus? Stimmt’s, Gaius Saufeius? So schnell werdet ihr uns nicht los!«
»Fordere die Götter nicht heraus«, sagte Scaurus. »Sie nehmen gerne den Kampf mit den Menschen auf, Lucius Appuleius!«
»Ich habe keine Angst vor den Göttern, Marcus Aemilius! Die Götter stehen mir bei!« Und mit diesen Worten verließ Saturninus die Versammlung.
»Ich wollte es ihm sagen«, sagte Sulla im Vorbeigehen zu Scaurus und Catulus Caesar. »Er sprengt auf einem halbverrückten Pferd dem Abgrund entgegen.«
»Der auch«, sagte Catulus Caesar zu Scaurus, als Sulla außer Hörweite war.
»Und der halbe Senat«, sagte Scaurus. In aller Ruhe blickte er um sich. »Das ist wirklich ein sehr schöner Tempel, Quintus Lutatius! Wir haben ihn Metellus Macedonicus zu verdanken. Aber heute ist es ein einsamer Ort, ohne Metellus Numidicus.« Er zuckte die Achseln, seine Miene hellte sich auf. »Komm, wir müssen noch den hochverehrten zweiten Konsul festhalten, bevor er sich in den hintersten Winkel seiner Höhle verkriecht! Er kann Mars ebensogut wie Jupiter Optimus Maximus das Opfer darbringen. Wir werden ein ganz feierliches Staatsopfer daraus machen, mit lauter weißen Opfertieren, dann haben wir den göttlichen Segen für die Kandidatenvorstellung auf dem Marsfeld!
»Wer wird die Rechnung für einen weißen Stier, ein weißes Schaf und ein weißes Schwein übernehmen?« Catulus Caesar schaute zu dem jungen Metellus und dem jungen Caepio hinüber, die gemeinsam in einer Ecke standen. »Unsere Quästoren vom Schatzamt werden lauter quietschen als alle drei heiligen Opfertiere zusammen.«
»Ach, ich glaube, Lucius Valerius, unser weißer Hase, kann bezahlen«, grinste Scaurus. »Er hat schließlich beste Verbindungen zu Mars!«
Am letzten Tag des November traf in Rom ein Schreiben von Gaius Marius ein, in dem er für den nächsten Tag eine Versammlung in der curia hostilia anberaumte. Diesmal konnten die ständigen Unruhen auf dem Forum Romanum die eingeschriebenen Väter nicht abschrecken, zu gespannt waren sie, Gaius Marius wiederzusehen. Die Curia war bis auf den letzten Platz besetzt. An den Kalenden des Dezember kamen alle, noch bevor der Morgen graute, denn jeder wollte der erste sein. Gerüchte schwirrten durch die Luft, wahrend sie warteten.
Er kam als letzter. Er erschien so groß, so breitschultrig, so aufrecht wie immer, sein Auftreten ließ in keiner Weise an einen Krüppel denken. Seine linke Hand steckte wie immer in den Falten seiner purpurgesäumten Toga. Aber sein Gesicht. Die ganze Welt konnte es auf seinem Gesicht sehen! Auf der rechten Seite sein straffes früheres Selbst, auf der linken Seite eine traurige Karikatur davon.
Marcus Aemilius Scaurus, der Senatsvorsitzende, hob die Hände und begann zu klatschen. Die kahlen Dachsparren, die rötlichen Rundungen der Terrakottafliesen, die Wände und Dach bedeckten, warfen ein Echo in das alte Gemäuer zurück. Einer nach dem anderen fielen die Senatoren in das Klatschen ein. Als Marius auf seinem elfenbeinernen Amtsstuhl Platz nahm, hatte der Applaus donnernde Lautstärke erreicht. Er lächelte nicht, jedes Lächeln betonte die groteske Asymmetrie seines Gesichtes auf unerträgliche Weise. Wenn er lachte, sah er Tränen in den Augen seines Gegenübers, von Julia bis Sulla. Darum stand er jetzt nickend vor seinem Amtsstuhl und verbeugte sich majestätisch, bis der Beifall verstummte.
Scaurus erhob sich mit breitem Lächeln. »Gaius Marius, wie schön, dich zu sehen! Die letzten Monate waren hier im Senat so trübe wie ein Regentag. Als Vorsitzender heiße
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