MoR 01 - Die Macht und die Liebe
jetzt. Aber das geht vorbei.«
»Nein, nie!«
Sulla stand auf und lachte. »Jetzt hör aber auf! Du bist doch höchstens fünfzehn Jahre alt. «
»Sechzehn!« sagte sie schnell.
»Fünfzehn, sechzehn, da ist kein Unterschied. Du bist noch ein Kind.«
Sie wurde rot vor Empörung und preßte die Lippen wütend zusammen. »Ich bin kein Kind mehr! «
»Natürlich bist du eins«, lachte er. »Schau dich doch einmal an, du steckst ja noch halb in den Windeln, ein kleines, dickes Baby.« Gut gesprochen! Das würde ihr den Kopf zurechtrücken.
Aber er hatte sie tief verletzt. Das Licht in ihren Augen erlosch. »Ich bin nicht hübsch!« sagte sie. »Und ich habe immer gedacht, ich sei hübsch!«
»Wahrscheinlich bekommen das alle kleinen Mädchen von ihren Eltern zu hören«, sagte Sulla grob. »Aber die Welt urteilt nach anderen Kriterien. Na ja, wenn du älter bist, wirst du ganz ordentlich aussehen. Jedenfalls wirst du schon einen Mann finden.«
»Ich will nur dich«, flüsterte sie.
»Das glaubst du jetzt. Aber du irrst dich, du dickes Baby. Und jetzt hau ab, bevor ich dich an den Haaren ziehe. Geh schon! Sssch!«
Sie rannte so schnell davon, daß die Dienerin ihr kaum folgen konnte. Sulla blickte den beiden Mädchen nach, bis sie hinter dem Kamm des nächsten Hügels verschwunden waren.
Er trug noch immer den Graskranz auf dem Kopf. Er riß ihn herab, warf ihn jedoch nicht weg, sondern hielt ihn in den Händen und starrte darauf. Dann stopfte er ihn in seine Tunika und machte sich auf den Rückweg.
Armes Ding. Er hatte ihr wehgetan. Doch er hatte ihr jede Hoffnung nehmen müssen, denn das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine liebeskranke Nachbarstochter, die ihn über die Mauer hinweg anhimmelte. Schließlich war ihr Vater nicht nur Clitumnas Nachbar, sondern auch noch Senator.
Bei jedem Schritt erinnerte ihn ein leichtes Kitzeln auf seiner Haut an den Graskranz. Corona graminea . Ihm überreicht hier auf dem Palatin durch eine Personifikation der Venus - eine Julia. Ein Omen.
»Wenn es ein gutes Omen ist, werde ich dir einen Tempel bauen, siegreiche Venus«, sagte er laut.
Endlich sah er seinen Weg klar vor sich liegen. Ein gefährlicher Weg und doch ein gangbarer Weg - für jemanden, der nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte.
Schwer senkte sich die winterliche Dämmerung über die Stadt, als Sulla wieder bei Clitumnas Haus ankam. Er fragte nach den Frauen. Sie steckten im Eßzimmer die Köpfe zusammen und hatten mit dem Essen auf ihn gewartet. Es war offenkundig, daß er der Gegenstand ihres Gesprächs gewesen war.
»Ich brauche Geld«, sagte er als erstes.
»Aber Lucius Cornelius... «, begann Clitumna.
»Halt deinen Mund, du alte Schlampe! Ich brauche Geld.«
»Aber Lucius Cornelius!«
»Ich mache Ferien«, sagte er, ohne sich zu setzen. »Es liegt an euch. Wenn ihr mich zurückhaben wollt - wenn ihr weiterhin genießen wollt, was ich zu bieten habe -, dann gebt mir tausend Denare. Andernfalls verlasse ich Rom für immer.«
»Wir geben dir jede die Hälfte«, sagte Nikopolis und sah ihn mit ihren dunklen Augen aufmerksam an.
»Einverstanden.« »Aber vielleicht haben wir nicht soviel Geld im Haus.«
»Euer Pech. Ich werde nämlich nicht warten.«
Als Nikopolis eine Viertelstunde später sein Zimmer betrat, war Sulla bereits mit Packen beschäftigt. Sie setzte sich auf sein Bett und sah ihm schweigend zu, bis er geruhen würde, sie zu bemerken.
Schließlich brach sie das Schweigen. »Du bekommst dein Geld.
Clitumna hat den Verwalter zu ihrem Bankier geschickt. Wohin gehst du?«
»Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal, solange ich nur hier wegkomme.« Er faltete Socken zusammen und steckte sie in die Schuhe.
»Du packst wie ein Soldat.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich war einmal die Geliebte eines Militärtribuns und bin mit der Truppe gezogen. Kaum zu glauben, nicht wahr? Was man nicht alles tut, wenn man jung und verliebt ist! Ich betete ihn an. Ich folgte ihm bis nach Spanien und dann nach Asien.« Sie seufzte.
»Und dann?« Sulla wickelte seine zweitbeste Tunika um ein Paar lederne Stiefel.
»Er fiel in Makedonien. Ich kehrte nach Hause zurück.« Mitleid erfüllte ihr Herz, doch nicht Mitleid für den toten Geliebten, sondern Mitleid für Lucius Cornelius, diesen gefangenen, schönen Löwen, der für irgendeine schmutzige Arena bestimmt war. Warum mußten Menschen lieben, wenn es so sehr schmerzte? Sie lächelte, aber es war kein frohes Lächeln.
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