MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Marius’ Gesicht. Erst die Farbe machte Sulla zu einer einzigartigen Erscheinung. Zweiundvierzig war er, und seine Haare waren noch so voll wie eh und je — und was für Haare! Weder mit rot noch mit golden waren sie hinreichend beschrieben. Dicht, gewellt und vielleicht ein wenig zu lang. Und Augen wie Gletschereis, ein ganz blasses Blau, umgeben von einem Blau, so dunkel wie eine Gewitterwolke. An diesem Abend sahen seine schmalen, geschwungenen Brauen und seine kräftigen, langen Wimpern braun aus. Aber Publius Rutilius Rufus hatte Sulla schon in weniger entspannten Situationen erlebt und wußte, daß er heute, wie er es häufig tat, Antimon aufgetragen hatte; in Wirklichkeit waren seine Brauen und Wimpern nämlich so hell, daß man sie überhaupt nur sehen konnte, weil seine Haut von einem blassen, fast pigmentlosen Weiß war.
Frauen waren von Sulla so fasziniert, daß sie Verstand, Urteilsvermögen und Tugendhaftigkeit verloren. Sie schlugen alle Warnungen in den Wind, brachten Gatten, Väter und Brüder zur Verzweiflung und kicherten verlegen, wenn er sie im Vorbeigehen auch nur mit einem Blick streifte. Ein so fähiger, kluger Mann! Ein hervorragender Soldat, ein tüchtiger Beamter, ein nahezu perfekter Organisator und dazu so tapfer, wie man es von einem Mann nur wünschen konnte. Und doch waren Frauen sein Verhängnis. Das dachte jedenfalls Publius Rutilius Rufus, dessen angenehmes, aber eher alltägliches und farblich unauffälliges Gesicht ihn nicht von Tausenden anderer Männer unterschied. Nicht daß Sulla ein Schürzenjäger oder Weiberheld gewesen wäre; nach Rutilius Rufus’ Meinung benahm er sich bewundernswert korrekt. Aber zweifellos hatte ein Mann, der danach strebte, die oberste Sprosse der politischen Leiter Roms zu erklimmen, bessere Chancen, wenn er nicht wie Apollo aussah. Gutaussehende Männer, denen die Frauen zu Füßen lagen, weckten das Mißtrauen anderer Männer. Man verachtete sie als Leichtgewichte oder Weichlinge oder fürchtete, von ihnen Hörner aufgesetzt zu bekommen.
Im Vorjahr, erinnerte Rutilius Rufus sich, hatte Sulla für die Prätur kandidiert. Alles schien für ihn zu sprechen. Seine militärischen Erfolge waren glänzend und wurden auch gebührend gewürdigt — Gaius Marius hatte dafür gesorgt, daß die Wahlmänner erfuhren, welch unschätzbare Dienste Sulla ihm als Quästor, Volkstribun und schließlich Legat geleistet hatte. Sogar Catulus Caesar, der keinen besonderen Grund hatte, Sulla zu mögen, hatte sich für ihn eingesetzt und seine Verdienste im italischen Gallien im Jahr der Niederschlagung der germanischen Kimbern gerühmt. Dann, während der wenigen, kurzen Tage, als Lucius Appuleius Saturninus die Republik bedroht hatte, war es der unermüdliche Sulla gewesen, der es Gaius Marius ermöglicht hatte, der Bedrohung Herr zu werden. Denn immer wenn Gaius Marius einen Befehl erteilt hatte, war es Sulla gewesen, der ihn ausführte. Quintus Caecilius Metellus Numidicus »Schweinebacke«, wie Marius, Sulla und Rutilius Rufus ihn nannten, hatte, bevor er ins Exil ging, aller Welt zu verstehen gegeben, daß die erfolgreiche Beendigung des afrikanischen Krieges gegen König Jugurtha seiner Meinung nach allein Sulla zu verdanken sei und daß Marius sich zu Unrecht mit dessen Lorbeeren geschmückt habe. Allein Sulla habe erreicht, daß Jugurtha gefangengenommen worden sei, und jedermann wisse, daß der Krieg in Afrika erst mit der Gefangennahme Jugurthas wirklich zu Ende gewesen sei. Als Catulus Caesar und ein paar andere ultrakonservative Stimmen im Senat Schweinebacke zustimmten, daß der Verdienst für den Sieg über Jugurtha eigentlich Sulla gebühre, schien der Aufstieg von Sullas Stern unaufhaltsam und seine Wahl zu einem der sechs Prätoren eine Gewißheit. Und bei alledem mußte noch Sullas eigenes Verhalten in der Sache berücksichtigt werden — er war so bewundernswert bescheiden und gerecht. Im Wahlkampf hatte er bis zuletzt darauf bestanden, die Gefangennahme Jugurthas müsse Marius zugeschrieben werden, da er selbst nur Marius’ Befehle ausgeführt habe. So etwas wurde von den Wählern gewöhnlich honoriert. Loyalität zum Feldherrn auf dem Schlachtfeld wie auf dem Forum war eine vielgepriesene Tugend.
Es kam freilich anders. Als sich die Wahlmänner der Zenturien in den saepta auf dem Marsfeld versammelten und die Zenturien nacheinander ihre Stimme abgaben, gehörte Lucius Cornelius Sulla, dessen Name allein schon so aristokratisch und vornehm klang,
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