Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
einigem Wühlen fand. Die einkehrende Ruhe tat seinem gewaltig hämmernden Schädel gut. Er dachte kurz darüber nach, laufen zu gehen, doch dazu fühlte er sich zu schlaff. Zudem war er von einer inneren Unruhe ergriffen, die ihn zur Arbeit trieb. Dieser Tag sollte der letzte sein, an dem er sich mit abgetrennten Köpfen auseinandersetzen wollte. Der Fall musste endlich zum Abschluss gebracht werden. Und dazu fehlte auch nicht mehr viel. Die Köpfe waren gefunden. Annette von Lichtenhagen, die am gestrigen Abend erwacht war, wurde von Polizisten im Krankenhaus bewacht und würde heute, soweit die Ärzte zustimmten, zur Vernehmung ins Präsidium gebracht werden. Auch Michael Pergande saß in Untersuchungshaft und würde erneut eine Aussage machen müssen. Gleiches galt für Klaus von Lichtenhagen. Es gab also genug zu tun. Bohlan warf sich zwei Aspirin in den Mund, stellte die Espressokanne auf den Herd und sich selbst unter die kalte Dusche.
Klaus Gerdings Blick war auf die dunkle Holzplatte seines Tischs gerichtet. Er vermied es, Felicitas Maurer und Professor Claussen anzusehen, die ihm gegenüber saßen. Seit dem Morgen standen die Telefone nicht mehr still. Die Pressestelle war nach allen Kräften bemüht, die Journalisten abzuwimmeln. Irgendjemand hatte die Infos über die nächtliche Aktion an der Willy-Brandt-Schule bereits nach außen getratscht. Gerding musste innerhalb der nächsten Stunden handeln, andernfalls schossen die Spekulationen ins Kraut und eine Räuberpistole löste die nächste ab.
„Wir werden in einer Stunde eine Pressekonferenz abhalten“, sagte Maurer mit resoluter Stimme. „Hauptkommissar Bohlan wird erklären, dass der Täter gefasst und die Köpfe gefunden wurden. Dann wird Professor Claussen ein paar Dinge zur Täterermittlung darstellen. Wir werden keine weiteren Fragen zulassen und auf eine ausführliche Konferenz am Montag verweisen. Bis dahin müssen alle abschließenden Fragen geklärt sein.“ Sie lehnte sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück.
„Ich weiß nicht, Frau Staatsanwältin“, antwortete Gerding. „Sollten wir nicht erst einmal warten, bis Bohlan hier ist und das alles mit ihm besprechen?“
„Warum?“
„Weil wir den ermittelnden Kommissar in solche Entscheidungen immer mit einbeziehen. Seine Einschätzungen sind wichtig. Niemand hat etwas davon, wenn wir jetzt zu schnell an die Presse gehen.“
„Es mag zwar sein, dass Bohlan ein überaus fähiger Kommissar ist, aber die Kommunikation sollte doch von Profis übernommen werden.“
„Und wer von uns ist der Kommunikationsexperte? Etwa Sie?“
„Ja. Während meiner Hamburger Zeit habe ich etliche Fortbildungen auf diesem Gebiet absolviert. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, nicht ganz ahnungslos zu sein.“
„Was sagt denn der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft dazu?“
„Ähm ...“ Maurer blickte etwas betreten. „Mit dem werde ich mich selbstverständlich vorher kurzschließen.“
„Tom, da bist du ja endlich“, sagte Steinbrecher, als Bohlan das Kommissariat betrat. „Du sollst sofort zu Gerding kommen. Wirst heiß und innig erwartet.“
„Von wem?“
„Drei Mal darfst du raten. Der Drachen und dein spezieller Freund sind schon seit einer Stunde da. Wahrscheinlich wollen sie besprechen, wie der große Erfolg verkauft wird.“
„Sollten wir nicht erst mal unsere Arbeit zu Ende machen?“, knurrte Bohlan. Seine Stimme klang gereizt.
„Mir brauchst du das nicht zu sagen.“ Steinbrecher zuckte mit den Schultern. „Bring das denen da oben bei.“
„Worauf du Gift nehmen kannst.“ Wutschnaubend stapfte Bohlan zur Tür.
„Ach so, Julia wartet ebenfalls bereits auf dich. Sie hat Annette von Lichtenhagen in das Vernehmungszimmer bringen lassen.“
„Jetzt mal eins nach dem anderen.“
Nachdenklich beobachtete Julia Will Annette von Lichtenhagen durch eine große Glasscheibe. Die Rektorin der Willy-Brandt-Schule saß aufrecht im Vernehmungszimmer vor einem Glas Wasser und konnte die prüfenden Blicke der Kommissarin allenfalls fühlen. Und wenn sie das tat, ließ sie sich nichts anmerken. Sie zeigte keinerlei Gefühlsausbrüche, sondern saß einfach ruhig und emotionslos auf ihrem Platz. Was ist das für eine Frau, fragte sich Will. Was hat sie gefühlt, als sie die Köpfe abgeschnitten hat? Was muss man im Leben erlebt haben, um so zu werden? Oder wird man einfach mit einem Killer-Gen geboren? Als sich eine Hand auf ihre Schultern legte, zuckte sie zusammen und fuhr
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