Mord im Atrium
Gelegenheit zu tragen, um ihn daran zu erinnern, was er verlieren würde (abgesehen von seinem süßen kleinen Sohn Gaius), wenn sie sich trennten.
Helena Justina, meine besonnene Gattin, schaltete sich ein und machte deutlich, auf wessen Seite ihre Sympathien liegen würden. »Beruhige dich, Geminus, und erzähl uns, aus welchem Grund der arme Quintus solchen Ärger hat.« Sie tippte meinem immer noch erregten Vater auf die Brust, um ihn zu besänftigen. »Wo ist mein Bruder jetzt?«
»Dein edler Vater hat verlangt, dass der Schurke das Familienheim verlässt!« Quintus und Claudia lebten bei seinen Eltern, was sicherlich nicht hilfreich war.
Papa, dessen Kinder und Enkel jede Art von Beaufsichtigung ablehnten, vor allem durch ihn, schien vom Heldenmut des Senators beeindruckt zu sein. Er gab sich missbilligend, was bei dem verkommensten Subjekt des Aventin einfach lächerlich wirkte. Papa beäugte mich mit diesen verschlagenen braunen Augen und fuhr sich mit den Händen durch die wirren grauen Locken, die nach wie vor seinen niederträchtigen alten Kopf bedeckten. Er forderte mich geradezu heraus, schnippisch zu werden. Ich wusste, wann ich besser die Klappe hielt. Ich war ja nicht verrückt.
»Und wo soll er dann hin?« Ein merkwürdig hysterischer Ton hatte sich in Helenas Stimme geschlichen.
»Er sagte mir, er hätte sich in dem alten Haus deines Onkels einquartiert.« Der Senator hatte das Anwesen neben seinem eigenen geerbt. Ich wusste, dass das Haus momentan leer stand. Der Senator brauchte die Miete, doch die letzten Mieter waren ganz plötzlich ausgezogen.
»Na, wie praktisch.« Helena klang forsch; sie war eine praktische Frau. »Hat mein Bruder gesagt, warum er der lieben Claudia eine gescheuert hat?«
»Anscheinend«, der Ton meines Vaters war düster – der Drecksack genoss jeden Augenblick –, »ist eine alte Freundin deines Bruders in der Stadt.«
»Oh, ›Freundin‹ ist viel zu hoch gegriffen, Geminus!« Ich blickte Helena zärtlich an und überließ es ihr, sich zu kompromittieren. »Ich weiß natürlich, wen du meinst – Veleda ist ihr Name.« Ganz Rom kannte die Vergangenheit dieser berüchtigten Dame – wenn auch bisher nur wenigen bewusst war, dass je eine Verbindung zwischen Quintus und ihr bestanden hatte. Seine Frau musste jedoch etwas gehört haben. Vermutlich war Quintus selbst so dumm gewesen, es ihr zu erzählen. »Quintus mag der Frau ja einst begegnet sein«, verkündete Helena in dem Versuch, sich selbst zu beruhigen, »aber das war vor langer Zeit, lange bevor er verheiratet war oder auch nur von Claudia gehört hatte, und alles, was damals zwischen ihnen vorgefallen ist, geschah in weiter Ferne.«
»In einem Wald, glaube ich!« Papa rümpfte die Nase, als wären Bäume was Abscheuliches.
Helena wurde hitzig. »Veleda ist eine Barbarin, eine Germanin aus der Gegend hinter der Grenze des Imperiums …«
»Stammt deine Schwägerin nicht auch von außerhalb Italiens?« Papa setzte jetzt ein anzügliches Grinsen auf, seine Spezialität.
»Claudia stammt aus Hispania Baetica. Absolut zivilisiert. Hintergrund und Situation sind vollkommen anders. Spanien ist seit Generationen romanisiert. Claudia ist römische Bürgerin, während die Seherin …«
»Oh, diese Veleda ist eine Seherin?«, schnaubte Papa.
»Nicht gut genug, ihr eigenes Verderben vorauszusehen!«, blaffte Helena. »Sie wurde gefangen genommen und für die Hinrichtung auf dem Kapitol nach Rom gebracht. Veleda kann meinem Bruder keine Hoffnung auf Romantik bieten und ist keine Bedrohung für seine Frau. Selbst Claudia mit ihrer ganzen Empfindsamkeit sollte kapieren, dass er mit dieser Frau nichts mehr zu tun haben kann. Was zum Hades mag ihn dann dazu getrieben haben, sie zu schlagen?«
Ein hinterlistiger Ausdruck erschien auf Papas Gesicht. Die Leute behaupten, wir sähen uns sehr ähnlich. So einen Ausdruck hatte ich sicherlich nicht geerbt.
»Möglich wäre«, spekulierte mein Vater (der den Grund natürlich längst kannte), »dass Claudia Rufina ihn zuerst geschlagen hat.«
II
D ie Saturnalien eigneten sich bestens für einen Familienstreit, da er leicht in dem jahreszeitlich bedingten Spektakel untergehen konnte. Dieser Streit jedoch leider nicht.
Helena Justina spielte den Vorfall herab, solange Papa noch bei uns herumlungerte. Wir lieferten ihm keinen weiteren Tratsch. Schließlich gab er auf. Kaum war er fort, zog Helena einen warmen Mantel über, ließ einen Tragestuhl kommen und eilte fort,
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