Mord im Garten des Sokrates
gelblich-blauen Haut ab, das Becken bildete einen vollkommenen Bogen unter dem muskulösen Bauch, Arme und Beine waren schlank und kraftvoll.
«Die Leichenstarre ist noch vollständig», erklärte Hippokrates, während er auf den Körper zutrat und ein Bein Perianders anzuheben versuchte. «Bei einem Sportler wie ihm kann sie bis zu drei Tage anhalten, aber nur, wenn es nicht so heiß ist, wie es heute war. Bei der Hitze, meine ich, ist er frühestens gestern Nacht zu Tode gekommen, sonst müssten seine Muskeln schon wieder erschlaffen.»
Mit unbewegtem Gesicht betrachtete und befühlte er Perianders Haut. Dann bat er mich, ihm zu helfen. Gemeinsam drehten wir den leblosen Körper um. An Perianders Hinterkopf klaffte eine Wunde. Obwohl man ihn gewaschen hatte, war das Haar noch blutverklebt. Der Arzt untersuchte die Verletzung ausgiebig und mit einem eigentümlichen Funkeln in den Augen. Er versuchte sogar, mit einer Art Bronzenagel in den Schädel einzudringen, aber es gelang ihm nicht.
«Der Schädel ist intakt», stellte er lapidar fest und legte den Stift zur Seite, um sich dem Nacken zuzuwenden.
«Das Genick ist intakt», war sein nächster Kommentar. Dann hielt er inne und überlegte. Es war, als spräche er mehr mit sich selbst und nicht mit mir, als er sagte: «Er ist nicht an einem Schlag auf den Kopf gestorben. Die Wunde am Hinterkopf ist nicht tödlich.»
«Woran ist er dann gestorben?», fragte ich, während sich Hippokrates schon wieder der Leiche widmete und meine Frage unbeantwortet ließ. Er untersuchte Perianders Rücken und zuletzt die Haut hinter seinen Ohren. Sein Gesicht hellte sich auf.
«Komm her und sieh dir das an», befahl er. Ich gehorchte, trat näher und sah hinter den Ohren Perianders einige kleine, rote Punkte durch die Haut schimmern. Sie waren kaum größer als die Samen der Brotbaumfrucht.
«Das sind Einblutungen», erklärte mir Hippokrates mit einer Begeisterung, die mich im Angesicht des Toten unangenehm berührte. «Ich bin sicher, wenn wir seine Augen öffnen könnten, dann würden wir die gleichen Einblutungen auch auf seinen Augäpfeln finden.»
«Könnten?», fragte ich besorgt nach, denn ich wollte die toten Augen Perianders keinesfalls öffnen, geschweige denn sehen. «Wir können es also nicht?»
«Nein», erwiderte er, was mich beruhigte. «Dazu ist er noch viel zu steif – in ein paar Tagen vielleicht. Andererseits, ich könnte die Lider natürlich auch aufschneiden. Wenn du es ganz genau wissen musst.»
«Nein, das wird nicht nötig sein», beeilte ich mich zu versichern, und einige Tropfen kalten Schweißes rannen mir Schläfen und Wangen hinunter.
«Gut. Dann hilf mir, ihn wieder auf den Rücken zu legen», kommandierte Hippokrates. «Ich glaube, er ist erstickt.»
Wieder bat er mich um Hilfe, und gemeinsam wuchteten wir Perianders Körper herum. Während Hippokrates ihn weiter abtastete, versuchte ich mich abzulenken, indem ich konzentriert auf die Wand hinter dem Arzt blickte, an der es rein gar nichts zu sehen gab. Jetzt hatte er eine Art kurzer Eisenstange in der Hand und schob sie Periander zwischen die Lippen. Ich fragte mich noch, was er damit vorhaben konnte, als – ich wage es kaum, mich zu erinnern – ein Krachen ertönte wie von einem Blitz. Nie werde ich das Geräusch vergessen, das ich hören musste, als Hippokrates Perianders leichenstarren Kiefer aufwuchtete. Es war, als ob der Schaft eines Speeres im Kampfe bräche. Die Stange war eine Art Brechstange gewesen. Mir schauderte und das Blut wich mir aus dem Gesicht, aber Hippokrates sah mich nur verständnislos an und meinte, die Leichenstarre sei bei Sportlern eben immer besonders stark. Das liege an den kräftigen Muskeln. Dann erforschte er völlig ungerührt Perianders Rachen und seinen Mund, wobei er ihm die Finger so tief in den Hals steckte, wie er nur konnte. Das genügte aber offenbar nicht, denn er ging noch einmal zu dem Beutel mit seinen Instrumenten, suchte und kam mit etwas zurück, das aussah wie eine lange, feine Zange.
«Pinzette», sagte Hippokrates und hielt das Werkzeug hoch, damit ich es sehen konnte. Er lächelte mir aufmunternd zu, dann steckte er dem bemitleidenswerten Leichnam auch noch dieses Gerät in den Mund und stocherte darin herum.
«Da haben wir es ja», war sein abschließender Kommentar, als er ein fast faustgroßes Stück zerknüllten Papyrus aus dem Rachen der Leiche hervorholte und mir mit der Pinzette reichte. Ich ekelte mich und wollte es gar nicht nehmen, aber
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