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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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zum Gruß, während Lykon und ich vorbeieilten. Viele Händler kannte ich noch aus der Zeit, als mein Vater hier die Aufsicht über Maße und Gewichte und die Ehrlichkeit beim Handel hatte. Agoranom, Marktrichter, war er unter Perikles geworden. Das war kein hohes Amt, aber für den kleinen Händler, der mein Vater damals war, ehrenvoll genug. Außerdem bot es Gelegenheit, ein etwas bedeutenderer Händler zu werden und es so zu dem Wohlstand zu bringen, den wir noch heute genossen.
Das Strategion befand sich auf halbem Weg zur Akropolis hinauf, gleich neben dem Areopag, dem unheimlichen und riesenhaften Felsen des Kriegsgottes, wo das Blutgericht tagt. Was, wenn ich gewusst hätte, dass ich in nur wenigen Wochen dort vor die Richter würde treten müssen? –
Vom Strategion aus hatte Perikles regiert und alle Strategen nach ihm. Nun lag der Oberbefehl bei Alkibiades, aber das verhieß nichts Gutes. Was mochte er nur wollen von mir? Bisher hatte er sich weder für mich noch für mein Amt je interessiert.
Der Aufstieg war mühsam. Wir sprachen kaum. Die Mittagshitze und die Furcht bedrückten uns. Selbst Lykon, der leicht wie eine Feder war und die steilsten Pfade sonst mehr rennend als gehend zurücklegte, bat mitten auf dem Weg um eine kurze Pause. Er war bleich, sein Atem ging schwer. War er krank? Sein Gesicht sah ungesund aus. Wir suchten Schatten unter einer Pinie und ruhten uns aus. Sinnlos, sich zu beeilen; meinem Schicksal würde ich ohnehin begegnen.
«Du bist allzu müde, mein junger Freund», sagte ich besorgt und Lykon gestand, wegen der Hitze die halbe Nacht nicht geschlafen zu haben. Ich ließ ihn verschnaufen, aber es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder Farbe bekam. Dann gingen wir weiter, ruhiger und vorsichtiger als zuvor.
Am Strategenpalast wurden wir von zwei Sklaven empfangen, die uns in einen Waschraum brachten. Dort warteten zwei aus Ton gefertigte Bottiche mit frischem Wasser und reine Gewänder auf uns. Die Diener halfen uns beim Waschen und kleideten uns neu. Mir gaben sie einen leichten, kurzen Chiton aus Leinen, einem seltenen Stoff, Lykon ein leichtes Tuch für die Hüften. Danach kam ein Beamter des Stabes und hieß mich, ihn zu Alkibiades zu begleiten. Lykon hingegen musste zurückbleiben und sich gedulden.
Alkibiades erwartete mich in einem gewaltigen Saal. Von der Seite, von wo ich eintrat, bis zu der Erhebung, wo er auf einem Thron halb saß und halb lag, zählte ich vierzig Schritte. Während ich zu ihm ging, senkte ich den Blick, wie mein Vater es mich gelehrt hatte, und wagte kaum, mich umzublicken. Der Beamte folgte mir stumm.
Alkibiades sah ich an dem Tag zum ersten Mal aus der Nähe: Er war ein in voller Blüte stehender Mann, vierundvierzig Jahre alt, in jenen kraftvollen Jahren zwischen Ephebentum und Alter, in denen sich das Schicksal eines Mannes erfüllt. Sein Haar war noch schwarz und länger, als man es in Athen für gewöhnlich trug, das Gesicht rasiert und breit, ein wenig stutzerhaft, aber die schmale und gekrümmte Nase zwischen den dunklen Augen zeugte von einem starken Willen und der Mund und sein Lächeln vom Wesen des großen Verführers. Wenn nicht nur böse Zungen behaupteten, Alkibiades sei nur deswegen aus Sparta geflohen und nach Athen zurückgekehrt, weil er einem der beiden Spartiatenkönige die Hörner aufgesetzt habe und nun dessen tödlichen Zorn fürchten musste, so nährten sich diese Gerüchte aus eben diesem Wesen des Hegemon autokratos. Er galt als schön – Männer und Frauen liebten ihn gleichermaßen –, und er war es ohne Zweifel, aber es war die Schönheit eines gefährlichen Tieres, und sie machte mich schaudern.
Auch Alkibiades trug nur einen Chiton, aber der bestand aus einem schimmernden, fließenden Gewebe, das ich noch nie gesehen hatte, und war von jenem verschwenderischen Gelb, das die Purpurschnecke gibt, wenn man den Stoff nur einmal mit ihrem Saft tränkt. Die Ärmel, den Kragen und den Saum zierte eine goldene Borte. Deutlich zeichnete sich sein Körper unter dem Tuch ab.
«O Adonis», begrüßte ich ihn. Das war nicht die offizielle Anrede, aber ich wusste, es würde ihm schmeicheln, mit dem Liebhaber Aphrodites verglichen zu werden, und das Lächeln, das er mir zuwarf, gab mir recht. Er erhob sich von seinem Thron und trat mir entgegen.
«Herr der Bogenschützen, Wächter über die Ordnung der Stadt, sei gegrüßt», sagte er, während er mich leicht umarmte. Er sah mir für einen Moment in die Augen. Sein Blick war

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