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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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war heute nicht der Tag, um über die Demokratie Athens zu sprechen. Vielleicht war ein Athen, das einen Alkibiades zum Führer erhoben hatte, auch nicht immer ein leuchtendes Beispiel, aber Lykon sollte immerhin wissen, wer dieser Kritias war, der ihm da Avancen gemacht hatte. Ich wollte gerade noch einmal ansetzen, als ein paar Jungen in Lykons Alter vorbeigingen. Sie winkten uns zu – oder vielmehr meinem hübschen Freund – und fragten, ob wir nicht mitkommen wollten. Es sollte zum Dionysos-Theater auf der anderen Seite der Akropolis gehen, wo irgendein Satyrspiel geprobt wurde. Sie wollten heimlich zusehen.
«Na, geh schon!», sagte ich zu Lykon, der seinen Kameraden allzu sehnsuchtsvoll hinterhersah. «Ich muss sowieso arbeiten.»
Kaum hatte ich das gesagt, verabschiedete er sich auch schon mit einem flüchtigen Kuss auf meine Wange und sprang davon. Ich aß die restlichen Nüsse, brachte die Schale zurück und machte mich auf zu meinem Onkel.
    Raios besaß eines der schönsten Häuser im Viertel der Schmiede, gleich neben dem Hephaistos-Tempel, den diese Zunft der Stadt gespendet hatte. Es war zweistöckig und weiß getüncht wie die anderen Häuser, aber sicher doppelt so groß, was den Neid aller Nachbarn erregte. Im Keller hatte Raios seinen Laden und seine Werkstatt, die durch ein Eichentor, vergitterte Fenster und kräftige Sklaven vor allzu großen Begehrlichkeiten geschützt waren. Er beschäftigte vier Schmiede und ihre Söhne als Gehilfen; keiner von ihnen war Vollbürger, sodass sie keine eigenen Geschäfte eröffnen konnten, ohne zusätzliche Steuern zu bezahlen. Aber er behandelte sie gut.
    «Nikomachos, mein lieber Junge», empfing er mich, als ich sein Geschäft betrat. Er war ein kleiner und dicker, aber ungemein lebhafter Mann. Obwohl er schon grau war, bewegte er sich flink wie ein Wiesel und war zudem schlau wie ein Fuchs. Er umarmte und küsste mich lachend.
    «Wie geht es meinen Enkeln?», das war immer das Erste, was er fragte, obwohl er die beiden fast täglich sah. Wenn ihm sein Leben etwas vorenthalten hatte, dann einen eigenen Sohn, den er, so erzählte es meine Frau, schmerzlich vermisst hatte. Jetzt entschädigte sie ihn mit unseren Söhnen freilich doppelt, und sie liebte ihren Vater sehr. Raios strahlte mich aus seinen gescheiten Augen an. Sein Gesicht war rund und fleischig. Auf seiner Wange blühte eine Warze.
    «Was kann ich für dich tun, mein Junge?» Das war die zweite Frage im Ritual unserer Begrüßung, das sich stets wiederholte. Ich antwortete normalerweise, er habe mir durch Aspasias Mitgift schon genug Gutes getan, worauf er dann laut lachte. Heute aber erklärte ich ihm, wirklich auf seine Hilfe angewiesen zu sein. Raios fasste mich am Arm und wurde sehr ernst.
    «Du hast doch für Periander, den Olympiasieger, einen Ring gefertigt», begann ich. Raios nickte.
«Er ist erschlagen worden, der Ring ist verschwunden. Ich will den Schmuck durch meine Leute suchen lassen. Wo der Ring ist, da ist vielleicht auch der Mörder. Ich bräuchte eine Zeichnung oder Skizze, die ich meinen Männern zeigen kann. Das macht die Suche leichter. Hast du so etwas für mich?»
Raios blähte die Backen auf. Dann lachte er.
«Ich habe noch etwas viel Besseres», sagte er nachdrücklich. «Ich habe eine Kopie!»
Schnell lief er in den hintern Teil der Werkstatt, wo sich sein Lager befand. Es dauerte nicht lange, bis er triumphierend wiederkam. In seiner Hand hielt er einen Ring.
«Sieh her», sagte Raios, «als ich den Ring damals gemacht habe, hat er mir so gut gefallen, dass ich ihn kaum weggeben konnte. Da habe ich mir kurzerhand eine Bronzekopie gezogen. An die Stelle der Perle habe ich einen schwarzen Kiesel gesetzt. Dieser Ring hier ist dem echten Ring verblüffend ähnlich.»
Raios drückte mir das Stück in die Hand. «Für dich, mein Junge. Ich hoffe, der Ring ist dir eine Hilfe!»
    es war schon dunkel, als ich mich endlich auf den Weg nach Hause machen konnte. Raios hatte mich nicht gehen lassen, bevor ich nicht mit ihm zu Abend gegessen und zumindest einen Teil meiner Begegnungen mit Alkibiades und mit Kritias geschildert hatte. Er war besorgt, und das nicht zu unrecht, denn zwischen diesen Mühlsteinen drohte man allzu schnell aufgerieben zu werden. Er schärfte mir ein, niemandem außer der Familie zu vertrauen und mich vor keinen fremden Karren spannen zu lassen.
    Die Nacht war schwarz und nur von einer dünnen Neumondsichel beschienen. Man sah die Hand vor Augen nicht und

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