Mord im Nord
würde an den Käsetheken nicht ausgestellt. Doch wer um das Geheimnis wüsste, könnte ihn gleichsam unter dem Ladentisch sehr wohl kaufen.
Dieses Geheimnis ist, anders als jenes des Geheimrezepts für die Kräutersulz, ein teilweise offenes Geheimnis. Eines, das man mit guten Freunden teilt, nicht aber mit entfernten Bekannten. Diese Aura des Geheimnisvollen ist das einzig Wahre für ein Produkt, das den Begriff des Geheimnisses schon im Namen führt. Und mit der Zeit wird sich das Geheimnis per Mund-zu-Mund-Propaganda schon herumsprechen.
Man kann ja ein bisschen nachhelfen. Etwa, indem man ausgewählte Köche von Hotels und Restaurants einweiht. Oder die Veranstalter von Kursen und Seminaren zu Themen wie Selbsterfahrung oder Heilen. Natürlich sollen auch möglichst viele Gäste von ausserhalb das Geheimnis erfahren, wonach man jetzt bei einem Aufenthalt im Appenzellerland nicht nur eine wunderschöne Landschaft und ein lebendiges Brauchtum geniessen kann, sondern auch noch Seelenfrieden geschenkt bekommt. Und das fast gratis.
Ich sah vor meinem inneren Auge schon die Köpfe der Tourismusverantwortlichen rauchen. Damit hätten sie nun wirklich ein Alleinstellungsmerkmal für das Appenzellerland gefunden, und das Schöne war, dass man leibhaftig herkommen muss, um dieses neuen Angebots teilhaftig zu werden. Ich gönnte den Tourismusverantwortlichen solch erfreuliche Perspektiven, und, wer weiss, vielleicht würde diese Geschichte ja sogar dazu beitragen, dass im Appenzeller Tourismus etwas weniger zwischen Inner- und Ausserrhoden unterschieden wird als bisher.
Der Grundtenor meiner Empfehlungen jedenfalls würde klar sein: Innovative Absatzkanäle innerhalb des Appenzellerlandes schaffen und dabei auf das Prinzip des offenen Geheimnisses setzen. Genau so stand es denn auch in meinem Bericht, der an die Kollegen vom Bewahrungskomitee auf Papier und an die angegebene Mail-Adresse in leicht gekürzter Form digital ging.
Schon nach drei Tagen kam eine Antwort. Diesmal war das Fenster, das auf dem Bildschirm erschien, nicht wie bisher immer rot, sondern grün. Und die Botschaft unmissverständlich: «Einverstanden. Damit können wir leben. Keine weiteren Kontakte.»
Der sprichwörtliche Stein, der mir und auch Adelina beim Lesen dieser Botschaft vom Herzen fiel, hatte beträchtliche Ausmasse. Das musste gefeiert werden. An diesem Abend gönnten wir uns zwei Portionen Appenzeller Secret und stellten dabei fest, dass das zusammen mit ein paar Pfeifchen und einem Appenzeller Quöllfrisch auch eine ausgesprochen erotisierende Wirkung haben kann.
Diese wurde noch verstärkt durch die Musik, die wir bei unserem Liebesspiel hörten. Peter hatte eine Kopie jener CD als Gastgeschenk mitgebracht, die sich im Jahr 2011 am meisten verkauft hatte: Adele 21. In meiner Abgeschiedenheit hatte ich davon noch nichts gehört, und auch an Adelina war diese Sängerin während ihres Aufenthalts im Kloster und der darauffolgenden mit Arbeit vollgepackten Zeit entgangen. Jetzt war sie natürlich zunächst fasziniert wegen der Namensgleichheit mit ihr. Und dann auch von der Musik.
Ich teilte ihren Eindruck. Manches klang wirklich wie Soul aus den sechziger Jahren, anderes nach coolem Jazz, doch immer war es eine sehr zeitgemässe Musik unseres Jahrhunderts, und immer war es diese noch ganz junge, und doch schon so lebenserfahren wirkende und völlig authentische Stimme Adeles.
Ein Liebesspiel-Drehbuch wie bei Hans und Claudia und ihrer Pastorale wurde daraus nicht. Doch eine Liedzeile grub sich bei uns beiden ins Bewusstsein und prägte unser Gespräch in der ebenso warmen wie klaren Stimmung danach: «I’m willing to take the risk!» Genau das beschlossen wir für unsere Beziehung. Wir hatten uns ineinander verliebt, und wir wollten zusammenbleiben. Jedenfalls mal auf Zusehen hin. Ob das angesichts des Altersunterschiedes zwischen uns wirklich eine Zukunft haben würde, wussten wir nicht – aber welches Paar hat schon, in wirklich langer Perspektive gesehen, eine Zukunft? Am Ende sind sie alle beide tot.
Deshalb wollten wir es wagen und die damit verbundenen Risiken auf uns nehmen. Unter meinem kleinen Dach, so viel war klar, konnten wir auf Dauer nicht zusammenleben, und eigentlich wollten wir gar nicht unter einem Dach leben. Deshalb würde Adelina sich eine eigene Wohnung suchen, in der Nähe ihres Arbeitsortes und so nah bei meinem Häuschen, dass wir uns sehen konnten, wann immer uns danach war. Den Rest würden wir getrost
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