Mord im Nord
Gefühl wuchs noch, als zwei Tage darauf der Pöstler einen Laptop der Spitzenklasse anlieferte, den ich nicht bestellt hatte. Darin fand sich ein Schreiben mit der Anweisung, ab sofort nur noch diesen neuen Computer zu benutzen und alle Dokumente vom alten rüberzuladen, die ich noch bräuchte. Der neue Computer sei in meinem Namen bezahlt worden – eine entsprechende Quittung lag bei –, und für die saubere Entsorgung des alten werde gesorgt, jemand käme ihn abholen. Über all das hätte ich selbstverständlich wie über alles andere striktes Stillschweigen zu bewahren. Handschriftlich war in der mir schon bekannten akkuraten Druckschrift ein Satz angefügt: ‹Es war trotz allem sehr schön. C.›
Das half mir jetzt auch nicht mehr. Mir war klar, dass die Computeraktion dazu dienen sollte, alle Spuren zu tilgen, die auf einen Kontakt zwischen ihr und mir hingedeutet hätten. Und mich gleichzeitig erneut eindringlich zu warnen.
Zu welchen Mitteln die sonst noch greifen werden, weiss ich nicht, aber mir schwant Schlimmes. Und weil ich auch sonst dieser Tage seltsame Todesgedanken hatte, habe ich mich entschlossen, für alle Fälle meine Dinge zu regeln. Dazu gehört mein Letzter Wille, vor allem aber dieser Brief an Dich.
Was auch immer mir passieren sollte – Du weisst jetzt Bescheid. Das gefährdet Dich nicht einmal zusätzlich. Denn ich habe in diesem Bekennerschreiben alle Hinweise auf die konkrete Person so verfremdet, dass es Dir unmöglich ist, sie zu finden.
Heute Abend ist der Abholer meines alten Computers angesagt. Vorher bringe ich noch diesen Brief zur Post – für alle Fälle. Natürlich hoffe ich, dass wir uns morgen sehen und an unserem gemeinsamen Projekt arbeiten können. Diesen Brief wirst Du dann noch nicht gelesen haben, ich werde ihn als langsamere B-Post frankieren. Doch eines Tages, kurz oder lang, nachdem Du meine Beichte gelesen hast, werden wir darüber reden und vielleicht sogar lachen können, so hoffe ich inbrünstig.
Du bist mir ans Herz gewachsen. Leb wohl. Dein Hans.»
Neue Erkenntnisse
Adelina und ich hatten den zweiten Teil des Beichtbriefs von Hans in einem Zug und kommentarlos gelesen. Dann schwiegen wir noch eine ganze Weile, ehe Adelina das Schweigen mit der Bemerkung unterbrach, nun sei ja wohl alles klar. Der angekündigte Abholer des alten Computers von Hans sei auch der Mörder gewesen. Schliesslich sei dieser alte Computer tatsächlich verschwunden.
Wenn die Geschichte stimme, wagte ich einzuwenden, aber Adelina meinte zu Recht, eine solche Geschichte könne man nicht erfinden. Wir sprachen eine ganze Zeit lang über die Tragik von Hans, der wohl seiner idealistischen Leichtgläubigkeit zum Opfer gefallen war. Und über die Unmöglichkeit, aufgrund der Informationen von Hans seine Ermordung wirklich aufklären zu können.
Wir wandten uns der Frage zu, welche Konsequenzen das Wissen, das wir jetzt erlangt hatten, für uns Lebende hatte. Bestätigt war jedenfalls unsere Annahme, wonach von mir erwartet wurde, das Projekt Appenzeller Secret zu stoppen. Die Frage war nur, wie? Den sehr positiv gestimmten Bericht über den Test durch unseren «Geheimbund» hatte ich den übrigen Mitgliedern des Bewahrungskomitees schon abgeliefert – aus Sicherheitsgründen in Form von bedrucktem Papier. Da konnte ich jetzt schlecht plötzlich damit kommen, ich hätte mich geirrt, das Projekt lohne es nicht, weiterverfolgt zu werden.
Und überhaupt. Ich war nur Mitglied des Bewahrungskomitees und dazu noch Frischling, und dieses hatte keinerlei Entscheidungsbefugnisse innerhalb der Sortenorganisation Appenzeller Käse. Selbst wenn es mir gelänge, das Bewahrungskomitee vom Projekt abzubringen, könnte sich die Geschäftsleitung also immer noch darüber hinwegsetzen und Appenzeller Secret dennoch auf den Markt bringen.
Wir rätselten noch, als wieder eine der ominösen Botschaften auf dem Bildschirm meines Macs erschien. Diesmal stand da: «Erwarten Bericht innerhalb einer Woche an folgende Adresse. Sobald eine Botschaft dort eingetroffen ist, wird diese Adresse gelöscht. Spurensuche zwecklos.» Es folgte eine Mail-Adresse, von der Adelina sofort wusste, dass man deren Spuren tatsächlich nicht würde verfolgen können.
Nun wusste ich, was ich zu tun hatte. Jedenfalls formal. Aber inhaltlich? Wir beschlossen, für eine Antwort seien wir heute zu müde, verbrachten einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher und gingen ganz keusch früh zu Bette.
Am nächsten Tag hatte
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