Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
Sie hat mich als menschliches Wesen behandelt, und ich bin … Jedenfalls will ich nicht, dass ihr Name durch den Schmutz gezogen wird.«
»Mein Herr ist ein guter omurumendu «, sagte Moses erneut. »Er wird zu seinem Wort stehen.«
Es verwunderte Otto nicht, dass Wilhelm Maharero dieses Mal nicht auf der Sitzfläche zurückrutschte. Vielmehr blickte er von ihm zu Moses und wieder zurück. Dann atmete er geräuschvoll aus und öffnete nicht nur den obersten Knopf seines Hemdes, sondern auch sein Jackett. Das waren klare Zeichen dafür, dass er sich noch weiter öffnen würde. »Ihr Name ist Igraine Raab, sie ist Zeichenlehrerin an der Malschule des Vereins Berliner Künstlerinnen in der Potsdamer Straße. Mehr möchte ich nicht sagen.«
Als Otto ihm zum Abschied die Hand hinstreckte, nahm Wilhelm Maharero sie entgegen. Er hielt Ottos Finger länger, als es notwendig gewesen wäre, und sah ihm in die Augen. Sein Verhalten zeigte, dass er Vertrauen gefasst hatte und einen näheren Kontakt zuließ. Plötzlich zog er seine Hand jedoch zurück und verbarg sie hinter seinem Rücken. Auch das war eine nachvollziehbare Handlung. Vermutlich war ihm gerade eingefallen, dass er vor Monaten dem deutschen Anwerber ebenfalls geglaubt hatte und er bitter enttäuscht worden war. Jetzt hatte er Angst, dass ein gegebenes Wort erneut gebrochen werden könnte.
Zur Beruhigung klopfte Otto ihm auf die Schulter und verließ das Vernehmungszimmer. Auf direktem Weg begab er sich in das Büro des Commissarius und trat ein.
» Oui, le voilà «, sagte Funke. Er hatte rote Bäckchen und wirkte beschwipst. »Sie verschwenden wirklich keine Zeit, mein Lieber. Was haben Sie herausgefunden?«
»Meistens erkenne ich die Kriminellen durch den Widerspruch zwischen Aussagen und Körpersprache«, erwiderte Otto. »Wilhelm Maharero wirkt vollkommen authentisch. Ich bin davon überzeugt, dass er sein Alibi verschwiegen hat, weil er den Ruf einer Frau schützen will. Bitte erlauben Sie mir, weitere Nachforschungen anzustellen.«
»Warum wollen Sie sich so engagieren?«, fragte der Commissarius.
»Es gibt mehrere Gründe. Wilhelm Maharero vertraut auf meine Diskretion. Außerdem fühle ich mich dem Volk der Hereros verpflichtet. Entscheidend ist aber, dass ich die Frau kenne.«
Alexanderplatz
Otto stand neben der Berolina-Figur und bekam nur am Rande mit, dass mehrere Pferdeomnibusse an ihm vorüberrollten. Auch der Schnürsenkelverkäufer, der mehrfach an seinem Ärmel zog und ein reißfestes Produkt anpries, drang nicht zu ihm durch. Erst als Moses mit einer Mietdroschke am Bordsteinrand hielt und laut seinen Vornamen rief, sah Otto auf. Er setzte sich in Bewegung, wich einem Sergeanten der Kolonialtruppen aus und kletterte in den Landauer. Es hatte schon länger nicht mehr geregnet, sodass das Verdeck offen war. Die Fahrt würde unter freiem Himmel und mit ungehindertem Blick auf das städtische Treiben erfolgen – wie schön.
»Zur Malschule des Vereins Berliner Künstlerinnen in der Potsdamer Straße«, sagte Otto. »Die Hausnummer kenne ich nicht. Und bitte fahren Sie über die Linden.«
»Een Wunderschön’!«, sagte der Kutscher, der einen blauen Rock mit silberner Kragenborte trug. »Ooch Jrüßen will jelernt sein, sagt meene Omma imma, und die muss et ja wissen! Det muss die Neununddreißig sein, wa!«
Der Kutscher ließ seine Peitsche durch die Luft rollen und lenkte die Pferde Richtung Königsstraße. Otto sank auf das gesteppte schwarze Lederpolster, schob sich den Panamahut aus der Stirn und befühlte seine Jackett- und Hosentaschen nach einem Lutschbonbon.
»Woher kennst du die Frau, bei der Wilhelm Maharero gewesen ist?«, fragte Moses. »Ich habe ihren Namen noch nie gehört.«
»Das kannst du auch nicht«, erwiderte Otto und gab die Suche auf. »Sie ist ein Mensch aus meiner Vergangenheit. Ich kannte sie lange vor deiner Zeit. Damals war ich noch Student an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Hast du vielleicht eine Moospastille?«
»Du weißt doch, dass ich dieses Zuckerzeug nicht anrühre«, erwiderte Moses. »War sie deine Geliebte?«
»Nein, nein. Ihre Eltern waren eng mit meinen Eltern befreundet und hatten sich in der Colonie Alsen ebenfalls eine Villa bauen lassen. Im Sommer siebenundsiebzig war ich meistens in ›Klein-Sanssouci‹, weil es während der großen Hitze am Wannsee erträglicher war als in meinem chambre garni in der Friedrichstraße.«
»Und diese Igraine Raab?«
»Sie war damals vierzehn
Weitere Kostenlose Bücher