Mord in Der Noris
fordernd. Wenn Sie verstehen, was ich meine.
Außerdem habe ich ihr in den letzten Jahren wiederholt und großzügig unter die
Arme gegriffen. Aber jetzt«, Schneider-Sörgel senkte kurz den Blick, »wollte
ich nicht mehr. Jetzt musste mal Schluss sein damit.«
Als er seine Reisetasche in das Wohnzimmer
hinübertrug, kehrte Heinrich mit Eva Brunner zurück. Die Anwärterin wollte
Schneider-Sörgel Handschellen anlegen, da protestierte Paula.
»Das lassen wir in diesem Fall. Das braucht es nicht.«
Wilhelm Schneider-Sörgel sah sie lächelnd, ja sogar
dankbar an. Dann stellte er sich ans Fenster und blickte lange auf die leere
Staffelei. Schließlich griff er entschlossen nach seiner Tasche und folgte Eva
Brunner nach draußen.
Als er eine halbe Stunde später in der Fürther
Straße vor dem Oberlandesgericht Nürnberg-Fürth aus dem Wagen aussteigen
sollte, war Wilhelm Schneider-Sörgel bereits tot. Reste der aufgebissenen
Zyankalikapsel befanden sich noch in seiner Mundhöhle.
Wieder eine halbe Stunde später erfuhr Paula davon.
Und regte sich maßlos über diese Schlamperei und Unachtsamkeit der Kollegen
auf. Sie hatte schon den Telefonhörer in der Hand, um in der Polizeiinspektion
Ost anzurufen, da legte sie ihn ganz behutsam wieder auf. Ihr war nämlich
eingefallen, dass sie es war, die ausdrücklich auf die Handschellen verzichtet
hatte. Und außerdem gefiel ihr die Vorstellung, dass Wilhelm Schneider-Sörgel
sich zuletzt erkämpft hatte, woran er gewöhnt und was ihm wichtig war – seinen
freien Willen.
Epilog
Und wieder einmal hatte Paula Steiner einen
ihrer typischen Pamperl-Fälle abgeschlossen. Konnte den Vorgang »Platzer,
Elvira« zu den Akten mit dem Aufdruck »erledigt« legen. Gut, ihre Entourage
hatte sie dabei nach Kräften unterstützt, aber die Hauptkommissarin war sich
nach diesen Tagen des Zweifels an ihren Chef-Qualitäten jetzt sicher, dass sie
selbst entscheidend zur Aufklärung beigetragen hatte. Dass sie, wie es sich für
ihre Position ziemte, die Kräfte der Mannschaft gebündelt und vorangetrieben
hatte. Ihre diesbezügliche Zerrissenheit und inneren Widersprüche konnte sie
mit dem erfolgreichen Abschluss dieses Falles gleich auf den Aktenstapel mit
dem Stempel »erledigt« dazulegen.
Man sollte also meinen, sie hätte allen Grund gehabt,
im Reinen mit sich und der Welt zu sein. War sie aber nicht. Denn noch immer
schwebte das Damoklesschwert über ihr, und es kam mit jeder Stunde unheilvoll
näher. Morgen hieß es Abschied nehmen. Sie bemühte sich an diesem letzten Tag
als später Forty-Something mehr schlecht als recht um Gelassenheit. So hatte
sie sich fest vorgenommen, sämtliche Glückwünsche von wem auch immer mit
Haltung zu ertragen, das war ihr Zugeständnis an die zurückliegenden Anwürfe,
Forderungen und Empfindlichkeiten ihrer Umwelt. Mehr aber nicht. Keine Feier,
kein Geschenk. Zumindest ein Gutes würde dieser Tag, wenn er denn endlich
ausgestanden sein sollte, haben: Ihre Alpträume wären dann genauso
Vergangenheit wie ihre Zugehörigkeit zur Gruppe des mittleren Alters. Und gab es
nicht zahlreiche Geschlechtsgenossinnen, allen voran Schauspielerinnen, die
immer wieder bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit betonten, dass ihr
Leben erst mit dem Erreichen dieser späten Schallmauer an Lust und Tiefe
gewonnen habe? An Gelassenheit und dem Wissen, was wirklich zählte?
Nach einer unruhigen Nacht, in der sie sich immer
wieder von rechts nach links und von links nach rechts geworfen hatte, wurde
sie am nächsten Morgen durch das aufdringliche Klingeln ihres Telefons wach.
Mit einem derben Fluch wälzte sie sich aus dem Bett, marschierte grimmig zum
Telefon, nahm, ohne auf das Display zu schauen, das Mobilteil ab, um es sofort
wieder mit Schmackes auf die Basis zu drücken. Die kurze noch verbleibende Zeit
vor Dienstbeginn und dem unweigerlichen Aufeinandertreffen mit den Gratulanten
wollte sie sich nicht verderben lassen.
Nach einem üppigen Frühstück, das sogar einen
eigenhändig zubereiteten Obstsalat bereithielt, verließ sie das Haus. Sie hatte
vor, auch diesen denkwürdigen Tag mit einem ausgedehnten Blick auf die
Kaiserburg zu begrüßen, doch der freie Blick darauf war heute verstellt.
Vor der niedrigen Steinmauer zum Burggraben stand Paul
Zankl in schwarzer Motorradkluft, vor ihm auf dem Seitenständer seine lindgrüne
Moto Guzzi. Man sah es ihnen an, wie sich beide für sie und ihren Ehrentag fein
gemacht hatten: Die Maschine funkelte vor der
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