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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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hatten – dem reichlich mit Blumen geschmückten Sarg gegenüber.
    Aufatmend stellte sie fest, dass er geschlossen war.
    Schräg hinter dem Sarg hatte man eine Reihe gepolsterter Stühle aufgestellt, von denen drei besetzt waren. Thekla erkannte Hildes Neffen und dessen Ehefrau Lore. Zwischen den beiden saß eine stark geschminkte Frau, der sie ihres Wissens noch nie über den Weg gelaufen war – falls aber doch, hatte ihr Gedächtnis nichts darüber gespeichert. Alle drei erhoben sich, als Thekla, Hilde und Wally auf sie zutraten.
    Hilde reichte der Frau die Hand. »Mein allerherzlichstes Beileid …«
    Das also ist Gerlinde Lanz, dachte Thekla und kondolierte ebenfalls.
    Die Witwe des Dichters passte zur protzigen Einrichtung des Hauses. Sie trug mehr Goldschmuck, als der Moosbacher Juwelier in seiner Auslage hatte, steckte in einem Blazer aus Brokatstoff und hatte sich einen schwarzen Spitzenschleier übers Haar drapiert.
    »Oh«, sagte Wally unterdessen in einem Tonfall, der halb Enttäuschung, halb Erleichterung ausdrückte. »Unser verehrter Dichter … Er ist wohl …« Sie wusste nicht weiter.
    Rudolf Westhöll kam ihr zu Hilfe. »Von vierzehn bis sechzehn Uhr war Hermann Lanz offen aufgebahrt. Dann wurde der Sarg geschlossen. Unser Dichter bereitet sich auf den ewigen Frieden vor. Sobald sich alle Trauergäste gestärkt haben, wird er feierlich auf den Gottesacker überführt werden.«
    Ins Leichenschauhaus, genau genommen, dachte Thekla prosaisch. Sie fand, dass es Rudolf Westhöll wieder einmal übertrieb. Weshalb musste er eigentlich immer derart pathetisch werden?
    Sie wandte sich ab und dankte dem Himmel, dass sie fürs Defilee am offenen Sarg zu spät gekommen waren.
    Die Witwe hatte sich die Schläfen mit einem Batisttaschentuch betupft und tief geseufzt. Nun nahm sie wieder Platz, wobei ihr Lore stützend die Hand unter den Ellbogen legte.
    »Im Namen von Frau Lanz danke ich den Damen für den Kondolenzbesuch«, sagte Rudolf und ließ es sich nicht nehmen, sie zum gedeckten Tisch zu komplimentieren.
    Auf dem Weg dorthin blieb Hilde stehen und begann mit ihrem Neffen einen Disput über die Anschaffung eines Kühlkatafalks für das Bestattungsinstitut Westhöll, während Wally die Petits Fours anvisierte und mit unangemessener Eile darauf zustrebte.
    So kam es, dass Thekla einen Augenblick lang nicht recht wusste, wohin mit sich. Nach kurzem Zögern steuerte sie eine barocke Anrichte an, auf der Gläser und Saftkrüge standen.
    Viertel vor sechs, stellte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr fest. Sie fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sich alle genügend gestärkt fühlten, um im Konvoi mit dem Leichenwagen zum Friedhof zu fahren, wo der Pfarrer eine Andacht für den Verstorbenen abhalten würde.
    Erneut überkam sie das Verlangen, schleunigst von hier fortzukommen. Was hinderte sie daran, sich stillschweigend zu verdrücken, den Dichter dem Jenseits zu überlassen, die Witwe zu vergessen und, vor allem, Hildes Bericht von ominösen Totenflecken aus dem Gedächtnis zu streichen?
    Unwillig starrte sie eine gerahmte Stickerei oberhalb der Anrichte an, die eine Schäferin inmitten einer Herde von Lämmern darstellte. Wieso hatte sie bloß geglaubt, Detektiv spielen zu müssen? Was zum Kuckuck hatte sie hier zu suchen?
    »Wie romantisch«, hörte sie plötzlich eine spöttische Stimme neben sich. Thekla löste den Blick vom Busen der Schäferin, unter dem ein offenbar neugeborenes Lämmchen ruhte, und wandte sich dem Sprecher zu. Mit Erleichterung identifizierte sie ihn als Dr. Friesing, den jungen Arzt, der vor ein paar Monaten in Moosbach eine Praxis eröffnet hatte.
    Theklas Stimmung hellte sich deutlich auf. Sie lächelte und grüßte freundlich.
    Seit Friesing im Landkreis praktizierte, hatte sie sich schon mehrmals mit ihm unterhalten und ihn von Anfang an gemocht. Zudem hielt sie ihn für äußerst kompetent.
    Schade, dachte sie, dass ihm die Moosbacher so wenig Vertrauen schenken. Ob das wohl daran liegt, dass er mit seinem glatten Gesicht und den immer etwas verstrubbelten Haaren wie ein Schuljunge wirkt? Oder daran, dass sich die Leute auf dem Land mit Vorliebe an alte Zöpfe klammern – an die Sonntagsmesse, an warme Mittagsmahlzeiten, an eingetopfte Blühpflanzen am Wohnzimmerfenster und an überholte Autoritäten wie Dr. Stenglich.
    Thekla hatte sich schon oft erbittert gefragt, auf welchem Stand der Medizin Stenglich eigentlich herumdokterte. Sie hegte schon lange

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