Mordlicht
fragen.«
Christoph sah vor seinem geistigen Auge das Ehepaar
Hansen. Er, der groß gewachsene, hagere Mann mit dem kleinen Pferdeschwanz;
sie, die kleine rundliche Rechtsanwältin, gut zwanzig Jahre jünger als ihr
Mann.
»Dann schießen Sie mal los«, forderte Christoph den
Anrufer auf.
»Ich kann Ihnen die Geschichte nur erzählen, wenn Sie
mir zuvor versichern, keine offiziellen Ermittlungen einzuleiten und das, was
ich Ihnen berichte, nicht formell zur Kenntnis zu nehmen. Ich unterliege in
diesem Fall nämlich der Schweigepflicht meines Amtes.«
»Da kann ich Ihnen keine Versprechungen machen«,
erwiderte Christoph. »Wenn ich von einem Vorgang Kenntnis erhalte, dem eine
Straftat zugrunde liegt, bin ich gezwungen, von Amts wegen Ermittlungen
einzuleiten. Das sollten Sie bedenken, bevor Sie mir etwas anvertrauen.«
»Das wäre nicht in meinem Sinne. Ich fürchte, wir
müssen unser Gespräch unter diesen Umständen abbrechen.«
»Das vermute ich auch. Aber warten Sie. Ich hätte da
noch eine Idee. Mein Kollege, Oberkommissar Große Jäger, ist katholisch und hat
zum Beichtgeheimnis eine andere Beziehung als ich. Wäre Ihnen damit geholfen,
wenn Sie mit ihm einen – sagen wir einmal – rein theoretischen Fall erörtern
würden?«
Christoph hörte förmlich das breite Grinsen, das sich
über dem Gesicht des Pastors ausbreitete.
»Ja, sicher doch. Und – vielen Dank auch, Herr
Johannes.«
Am anderen Ende des Raumes standen sich zwei
Schreibtische als Block gegenüber. An einem saß der Oberkommissar. Er hatte
eine Schreibtischschublade herausgezogen und parkte seine Füße darauf. Das
ungekämmte dunkle Haar mit den grauen Strähnen glänzte ein wenig und hatte sich
mangels Waschen und Kämmen in der jüngsten Zeit selbstständig gemacht. Die
Bartstoppeln im unrasierten Gesicht schimmerten grau und verstärkten den
düsteren Eindruck, den Große Jäger auf Fremde machte. Das rot karierte
Holzfällerhemd wurde durch die offen stehende Lederweste mit den Flecken, die
schon so lange darauf wohnten, dass sie fast ein Stück seiner Persönlichkeit
geworden waren, nur unzureichend verdeckt und verbarg auch nicht den
Schmerbauch, der so weit über den Gürtel hinaushing, dass er die Schnalle
unsichtbar werden ließ.
»Wer will was von mir?«, grummelte der Oberkommissar
und griff zu dem Kaffeebecher mit den Spuren lang währenden Gebrauchs. In aller
Seelenruhe zündete er sich eine Zigarette an, blies geräuschvoll den Rauch in
die Luft und nahm erst dann das Gespräch entgegen, das Christoph auf seinen
Apparat durchgestellt hatte.
Frode Hansen schilderte Große Jäger den Besuch des
Fremden.
»Wie sah Ihr Besucher aus? Können Sie ihn
beschreiben?«, wollte der Oberkommissar vom Pastor wissen.
In diesem Punkt verweigerte Hansen aber die Antwort.
»Ich habe mein Gewissen schon arg genug strapaziert, indem ich Ihnen von diesem
Gespräch berichtet habe. Es ist mir aber unter Hinweis auf das Vertrauen, das
Menschen in Notlagen von uns Geistlichen einfordern können, nicht möglich,
Ihnen weiter gehende Informationen zu vermitteln.«
»Von mir aus«, knurrte Große Jäger, »obwohl eine
Personenbeschreibung uns auch nicht weitergebracht hätte. Die Polizei ist ja eh
doof. Und die Kripo in Husum ganz besonders, meint jedenfalls unser genialer
Chef in Flensburg.«
»Ich war mir meiner Sache nicht sicher«, rechtfertigte
sich Pastor Hansen. »Schließlich hat mein unbekannter Besucher vorgegeben, ein
Mörder zu sein.«
»Und Sie kannten den Mann nicht? Nie gesehen?«
»Nein! Er war mir völlig fremd. Ich glaube, viele der
rund fünftausend Bredstedter zu kennen, wenn auch nicht alle mit Namen. Diesem
Mann bin ich aber noch nie begegnet. Ich kann mich jedenfalls nicht daran
erinnern.«
»Es soll ja auch pensionierte Pastoren geben, die im
Alter unter dem Phänomen der Vergesslichkeit leiden«, murmelte Große Jäger
undeutlich in den Hörer, was seinen Gesprächspartner am anderen Ende zu der
Frage »Was haben Sie eben gesagt?« veranlasste.
»Nicht nur vergesslich, auch noch schwerhörig, die
Ollen«, schob der Oberkommissar hinterher. »Wir haben nur ein kleines Problem«,
gab er stattdessen verständlich zur Antwort.
»Und das wäre?«
»Es liegt derzeit keine Leiche auf unserem Fundbüro,
zu der wir jemand suchen, der Besitzansprüche stellen könnte. Mit anderen
Worten: Im braven Nordfriesland ist kein einziger Mord begangen worden.«
»Da kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen«,
antwortete Hansen
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