Mordlicht
ihnen gerissen.
»Wer war der Mensch,
den Sie getötet haben?«, versuchte der Pastor nach einer Weile vorsichtig das
Gespräch wieder aufzunehmen.
»Das will ich Ihnen
erklären«, setzte der Besucher an und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, als
würde er sich in einer entspannteren Sitzhaltung besser an das Erlebte erinnern
können. »Ich muss dazu ein wenig ausholen, damit Sie alles verstehen.«
»Lassen Sie sich
nicht unter Druck setzen. Ich habe Zeit«, ermunterte ihn Hansen.
Der Mann holte
erneut tief Luft und begann mit stockenden Worten seine Erklärung.
»Wie ich schon
sagte, bin ich seit langem geschieden. Zu meinen erwachsenen Kindern habe ich
nur wenig Kontakt. Ich führe ein relativ zurückgezogenes Leben, ohne Eremit zu
sein. Ich werde Ihnen gleich mehr über meinen Alltag berichten, wo und wie ich
wohne. Doch zunächst muss ich etwas über meinen Beruf erzählen. Die Zeiten
haben sich gewandelt. Nichts ist mehr so, wie es einst war. Vielen Menschen
bläst der Wind heute direkt ins Gesicht. Davon bin auch ich betroffen, weil …
aber, vielleicht sollte ich der Reihe nach erzählen.« Er sah Hansen an. »Macht
es Ihnen viel aus, wenn ich jetzt doch um ein Glas Wasser bitten würde?«
»Selbstverständlich
nicht«, erwiderte der Pastor, stand auf und wandte sich zur Tür. »Wenn Sie mich
einen Moment entschuldigen? Ich hole es schnell aus der Küche.« Damit verließ
er das Arbeitszimmer, ließ die Tür zum Flur aber offen.
In diesem Augenblick
drang das Geräusch eines sich in der Haustür drehenden Schlüssels durch die
Stille des Hauses. Die Tür schwang auf, schlug mit einem dröhnenden Laut gegen
die Wand und pendelte leicht zurück. Schlurfende Schritte mischten sich mit dem
Klirren von Gläsern, die gegeneinander stießen, und eine Frauenstimme hallte
durch den Flur.
»Hallo, Liebling,
bist du im Haus? Ich bin zurück. Mit vollen Taschen. Vom Einkaufen. Kannst du
mir mal behilflich sein?«
Erschrocken sah der
Besucher über die Schulter und gewahrte durch die offene Tür eine blonde Frau
mit einer etwas zur Rundlichkeit neigenden Figur, die im selben Moment den
Besucher sah und freundlich in das Zimmer hineinrief: »Oh! Hallo! Moin! Ich
hatte nicht gesehen, dass wir Besuch haben.«
Sie stellte ihre
Einkauftaschen im Hausflur ab und wollte mit ausgestreckter Hand den Gast
begrüßen. Der sprang urplötzlich von seinem Stuhl hoch, stieß das Sitzmöbel
nach hinten und zwängte sich hastig, ohne ein Wort zu verlieren, an Rubina
Hansen vorbei in Richtung der immer noch offenen Haustür.
Irritiert sah die
Frau des Pastors dem Mann nach. »Komisch«, murmelte sie vor sich hin.
»Was ist komisch?«,
fragte ihr Mann, der mit einem gefüllten Wasserglas aus der Küche zurückkam,
sich zu seiner Frau, die ihm nur bis zu den Schultern ragte, herabbeugte und
ihr einen Kuss auf die Wange hauchte.
»Na, der da.« Rubina
Hansen zeigte mit ausgestrecktem Finger in Richtung Straße. »Der Typ, der wie
von der Tarantel gestochen aus deinem Arbeitszimmer gerannt kam und wortlos
verschwand.«
»Was? Der ist weg?«
»Was ist mit dem?«
Doch der Pastor
schüttelte nur den Kopf. »Das würde ich auch gern wissen«, sagte er.
*
Die Geräusche des Straßenverkehrs wurden kurzfristig
durch das Dröhnen der anfahrenden Diesellokomotive vom gegenüberliegenden
Bahnhof übertönt, bildeten dann aber wieder die einzige Untermalung zur stillen
Betriebsamkeit, die im Büro der drei Kriminalbeamten herrschte.
Die Kriminalpolizeistelle Husum war im Gebäude der
Polizeiinspektion in der Poggenburgstraße untergebracht. Als das Telefon
schrillte, nahm Christoph den Hörer ab. »Johannes«, meldete er sich.
»Moin, Herr Hauptkommissar«, kam eine Stimme über die
Leitung, die Christoph bekannt vorkam, die er im Augenblick aber nicht zuordnen
konnte.
»Moin. Mit wem spreche ich?«, wollte er wissen.
»Entschuldigung, Herr Hauptkommissar. Hansen. Aus
Bredstedt.«
Christoph lachte kurz auf. Sicher. Jetzt erinnerte er
sich an Frode Hansen, den pensionierten Geistlichen. Er war ihm vor einiger
Zeit bei den Ermittlungen zu einem mysteriösen Mordfall begegnet. Hansen hatte
in diesem Zusammenhang eine recht unglückliche Rolle gespielt.
»Lassen Sie den Hauptkommissar. Ich nenne Sie ja auch
nicht Herr Pastor.«
»Gut, Herr Johannes. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie
mir weiterhelfen können. Aber ich habe mit meiner Frau gesprochen, und wir sind
beide der Auffassung, dass es gut wäre, Sie um Ihren Rat zu
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