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Mordlicht

Mordlicht

Titel: Mordlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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»Das ist nett von Ihnen. Ich habe ein großes Problem.«
    Hansen ließ ihm
Zeit. Der Mann sah kurz auf, wich aber dem Blick des Pastors sofort wieder aus.
    »Ich … ich weiß
nicht so recht, wie ich beginnen soll«, stammelte er.
    »Sind Sie in einer
Notsituation?«, versuchte ihm Hansen eine Brücke zu bauen.
    Der andere nickte.
»Ja! Das kann man sagen.« Dann schwieg er.
    »Haben Sie Kummer?
Eine Erkrankung?«
    Kopfschütteln.
    »Wollen wir ein
Gebet sprechen? Oder soll ich Ihnen den Segen erteilen?«
    Der Fremde fuhr mit
einem Ruck in die Höhe und nahm eine abwehrende Haltung ein. »Bloß das nicht.
Dafür bin ich nicht der Richtige. Das hilft mir nicht weiter.«
    »Wo liegt dann Ihr
Problem? Eine Notlage? Wirtschaftlich?«
    »Nein! Das heißt –
ja. Eine beschissene – oh, Verzeihung –, eine richtig dumme Situation. Aber nicht
finanziell. Jedenfalls nicht jetzt.«
    »Eheprobleme? Ist
etwas mit den Angehörigen?«, bohrte Hansen vorsichtig, nachdem sein Gegenüber
wieder ins Schweigen verfallen war.
    »Nein«, wehrte der
Fremde ab, »ich bin nicht verheiratet. Nicht mehr. Seit langem geschieden. Und
zu den erwachsenen Kindern habe ich kaum Kontakt. Das ist es nicht. Ich habe
ein viel größeres Problem.«
    »Da Sie mich
aufgesucht haben, nehme ich an, Sie möchten es mir erzählen – Ihr Problem. Ich
kann Ihnen versichern, dass alles, was Sie mir anvertrauen, genauso der
Schweigepflicht unterliegt, als würden Sie es einem katholischen Priester im
Beichtstuhl offenbaren.«
    Geistesabwesend
nickte der Mann. »Ja, ja«, sagte er. Dann straffte sich sein Oberkörper, als
wäre ein innerer Ruck durch ihn gefahren. »Ich weiß nicht so recht, wie ich
anfangen soll.« Er ließ seinen Blick an Hansen vorbei zur Bücherwand gleiten.
Seine Augen wanderten über die Buchrücken, als suche er etwas.
    »Wir sind hier unter
uns«, ermunterte ihn der Pastor. »Sprechen Sie frei von der Leber weg.«
    Der Mann sah auf
seine Hände, die sich intensiv miteinander beschäftigten. Dann blickte er auf.
Seine Augen suchten den direkten Kontakt zu Hansen, musterten die Brillengläser
des Pastors und fixierten dann dessen Pupillen, als wollte er den Geistlichen
hypnotisieren.
    Es fiel Hansen
schwer, diesem langen, intensiven Blick standzuhalten. Er zwang sich dazu,
versuchte krampfhaft den Lidschlag zu vermeiden. Es war ein Messen der
Willenskräfte zwischen den beiden Männern. Die Zeit erschien dem Pastor ewig.
    Plötzlich
entspannten sich die verkrampften Gesichtszüge des Fremden. Er holte tief Luft
und sagte dann unvermittelt mit kaum wahrnehmbarer Stimme: »Ich hab einen
umgebracht!«
    Dann sackte er im
Stuhl in sich zusammen, so, als hätte jemand ein Ventil geöffnet und das, was
diesem Menschen Stabilität verliehen hatte, wäre urplötzlich entwichen.
    Hansen schwieg. Es
war eher die Sprachlosigkeit über das Geständnis des Unbekannten als
wohlüberlegte Absicht. Er brauchte eine Weile, bis er sich gefasst hatte.
    »Ist das Ihr
Ernst?«, fragte er, ärgerte sich aber im selben Moment über diese der Situation
nicht angemessene Frage. Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen.
    Nahezu empört sah
ihn sein Gegenüber an. »Glaub’n Sie, ich scherz mit solchen Sachen?«
    »Nein«, versuchte
ihn der Pastor zu beschwichtigen. »Verstehen Sie mich bitte richtig, aber … das
kam überraschend. Auch als Geistlicher wird man nicht jeden Tag mit einer
solchen Situation konfrontiert.«
    Der Unbekannte
lachte gekünstelt auf. »Glauben Sie, ich bring regelmäßig jemanden um?« Er
wischte sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. »Für mich war es auch
das erste Mal.«
    Dann trat eine Pause
ein.
    Hansen wollte ihn
nicht unterbrechen. Er spürte, dass sein Besucher das Geständnis fortsetzen
würde.
    »Es … es war
grauenvoll«, stieß der Mann hervor. Ein leichtes Beben durchfuhr ihn bei der
Erinnerung an das Erlebte. Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die
Mundwinkel. »Ich hab so was noch nie gemacht, bin sonst kein gewalttätiger
Mensch. Aber … irgendwie … ich weiß gar nicht, wie das geschehen konnte. Keine
Ahnung«, schob er nach und zuckte hilflos mit den Schultern.
    »Kann ich Ihnen
etwas anbieten?«, fragte Hansen. »Einen Kaffee? Tee? Ein Glas Wasser?«
    Der Fremde schüttelte
geistesabwesend den Kopf. »Nee, danke!«, gab er zurück. Dann spielte er wieder
mit seinen Fingern.
    Es entstand eine lange Pause. Zu lange. Hansen schien es, als wäre der mühsam geknüpfte
Vertrauensfaden zwischen

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