MORDMETHODEN
Dachau gebracht. Dort starb er kurz darauf unter ungeklärten Umständen. Die Mutter befand sich zur gleichen Zeit in Untersuchungshaft. Schlechte Zeiten also für ihre beiden Jungs Alois und Mathias, die nun auf sich gestellt waren. Gute Schüler waren sie nie gewesen. Der zwölfjährige Mathias erhielt folgendes Zeugnis: »Fähigkeiten sind ihm nicht abzusprechen, seine Faulheit ist jedoch grenzenlos, infolge Nachlässigkeit und grenzenloser Unaufmerksamkeit leistet er fast gar nichts. Strafen und Ermahnungen sind ganz nutzlos. Er hat keinen Sinn für die Schule.«
Auch Mathias’ zehnjähriger Bruder Alois brachte in diesem Jahr keine frohe Kunde heim: »Ein halb blödsinniger Schüler, der keinem Gegenstand entspricht, was aber im Widerspruch zu seinem Musiktalent steht. Seine häusliche Erziehung stimmt nicht mit der Schule überein. Schulbesuch mangelhaft.«
Als Mutter Kneißl, die früher für ihre Familie gerne ein Reh oder eine Wildsau geschossen hatte, im Gefängnis saß, lachten ihre Söhne erst recht über die Schule und wilderten stattdessen. Das machte sie bei den Gendarmen unbeliebt. Für die Volksseele war das allerdings nicht schlimm. Die grün gekleideten Ordnungshüter galten als Stellvertreter der Bratenröcke und Pfeffersäcke. Im Gegensatz zu den Bauern redeten sie vor allem, anstatt zu arbeiten, und beuteten ihre Untergebenen aus. Wer mit der Polizei über Kreuz lag, stand also auf derselben Seite wie die Bewohner des Landstrichs. Hinzu kam, dass viele Gendarmen aus Franken stammten, einer Gegend, diegemeinhin als ordnungsliebend und obrigkeitshörig galt. Die Alt-Bayern hielten sich für das genaue Gegenteil.
»Mein Unglück war«, wird Mathias Kneißl zwölf Jahre später vor Gericht erzählen, »dass ich ungerechterweis’ bis zum 17. Lebensjahr in die Schule hab’ müssen, weil mich der Pfarrer Endl nicht hat leiden mögen und mir immer aufgesessen ist. Andere sind schon weit früher entlassen worden. Ich hab’ so viel gelernt wie die andern auch. Bei der Schulprüfung hätt’ ich als Einziger an der Tafel rechnen sollen. Das hab’ ich nicht wollen. Ich kann kein Unrecht leiden. Ich kann mich nicht beugen, lieber geh’ ich selbst zugrund.«
Dass sich in dieser Schulgeschichte Kneißls weiterer Lebensentwurf andeutete, wusste er wohl selbst. Am 21. Februar 1902 wurde er in Augsburg geköpft.
Ein Mensch wird Räuber
Kneißls Auf- bzw. Abstieg begann, als die unbewaffneten Gendarmen Gößwein und Förtsch am 2. November 1892 die Schacher-Mühle aufsuchten, um den verhaltensauffälligen Buben das Wildern ein für alle Mal auszutreiben. Dabei verschätzten sich die Grünröcke allerdings im Kampfeswillen von Mathias und Alois. Die Jungen verschanzten sich samt ihrer Schusswaffen auf dem Dachboden. Nachdem Förtsch schon einen Schuss abbekommen hatte, ging Gößwein langsam die Stiege hinauf und redete dabei auf Mathias Kneißl, den etwas ruhigeren der beiden Brüder, ein. Doch da fing er sich zwei Schüsse von Alois ein, von denen er sich nie ganz erholte. Einige Tage später wurden die Brüder Kneißl auf der Flucht gefasst und wegen Hehlerei, Raub, versuchtem Mord, Wilderei und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu 15 (Alois) bzw. sechs (Mathias) Jahren Haft verurteilt.
Mathias wurde 1899 entlassen und lebte fortan in den Wäldern seiner Heimat. Bei den Bauern war er beliebt, da er oft Wildfleisch mitbrachte. Außerdem träumte Kneißl davon,»nach Amerika« auszuwandern. Das nötige Geld musste er sich zusammenräubern und -stehlen. Doch es reichte nie.
Der anbrechende Abend des 30. November 1900 machte aus Mathias Kneißl den Räuber Kneißl, Held von Gedichten und Abenteuergeschichten. Er klopfte am Haus des Fleckl-Bauern in Irchenbrunn an, weil er hoffte, dort übernachten zu können. Es regnete, und Kneißl hatte Hunger.
Die Fleckl-Bäuerin wollte Kneißl nicht einlassen, sondern schickte ihn zum Bauer in die Gaststube. Die wollte Kneißl aber nicht betreten, weil die dortigen Gäste ihn, der mittlerweile ein Gewohnheitsdieb war, verraten könnten. Irgendwann kam der Fleckl-Bauer mit zwei Mass Bier, Würsten und Geselchtem heraus und setzte sich mit Kneißl in die Wohnstube. Die beiden Gauner schwatzten bis etwa elf Uhr. Auf einmal bellte der Hund, und jemand klopfte an der Haustür. »Aufgemacht, Fleckl-Bauer, Gendarmerie!«, tönte es von draußen.
Obwohl der Fleckl-Bauer den Harten mimte und weder den vor der Tür polternden Kommandanten Brandmeier noch seinen Begleiter,
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