MORDMETHODEN
alle Decken, auf die Tammy sich übergeben hatte, in die Waschmaschine gestopft hatte.
Obwohl der Beamte erst sieben Wochen im Dienst war, reagierte er sofort und hielt die Maschine an. Doch es war schon zu spät. Das erste Waschprogramm war bereits angelaufen, und die Decken kamen klitschnass heraus.
Die Situation geriet zunehmend außer Kontrolle. Karla umarmte ihre andere Schwester und weinte. Paul schrie herum, schlug sich an den Kopf und rannte im Haus umher. Wie sich später herausstellte, war das ein kurzer, vielleicht der einzige Anflug von ansatzweisem Verständnis dafür, was er angerichtet hatte. Oder waren es doch nur Selbstmitleid und Angst?
Halothan zerstört einen Traum
Auch im Fall des deutschen Serientäters Jürgen Bartsch spielte das Narkosemittel Halothan eine traurige Rolle. Genauer gesagt, Halothan beendete die traurige Geschichte.
Kriminalistisch war die »Sache Bartsch« nicht besonders spannend. Durch ein offenes Geständnis hatte der bei seiner Verhaftung 19-Jährige allerdings bewirkt, dass den Deutschen die Reste der oft miefigen Fünfziger- und Sechzigerjahre aus den Knochen fuhren. Denn obwohl er täglich und pünktlich zum Abendessen und danach zum Fernsehen im elterlichen Bett erschien, strich Bartsch davor und danach in der Gegend herum und hielt nach Jungen Ausschau.
Vier davon lockte er zwischen 1962 und 1964 in einen alten Luftschutzstollen (Abb. 19 bis 22 ), wo er sie schlug, tötete und sich dann noch lange mit deren Leichen beschäftigte, indem er sie zerstückelte und sich daran erregte. All das machte ihn gleichzeitig zu einem Alien und zum negativen Superstar.
Im Privaten waren sich die meisten Deutschen einig, was Bartsch verdiente: den Tod (»an die Wand mit ihm«, wie es damals hinter vorgehaltener Hand formuliert wurde).
Die alte Frage, ob ein Mensch, der berechnend und also nicht »verrückt« ist, auch automatisch Schuld an seinen Taten trägt, wurde an Jürgen Bartsch besonders deutlich. Denn er hatte nicht nur Hunderte von Kindern angesprochen und beim leisesten Widerstand sofort laufen lassen. Er hatte auch eine Aktentasche, in der er angeblich Diamanten für eine Versicherung transportierte, sowie Kleidung zum Wechseln in der Nähe des Stollens im Freien versteckt und Geld aus der Kasse des elterlichen Ladens gestohlen, um damit Taxifahrten zu finanzierenund seine Opfer in Kneipen auf einen Apfelsaft einzuladen.
Eine Zeit lang lief Bartsch sogar mit einem großen Koffer herum, um einen »geeigneten« Jungen (glatte Haut, nicht zu alt oder zu kräftig, sympathisch) darin zu verstecken. Als ein Passant ihn fragte, was er mit so einem »Kindersarg« wolle, entledigte sich Bartsch schleunigst des auffälligen Stücks. Wie ein klinisch Verrückter konnte Bartsch also niemandem erscheinen, und auch die Kunden aus dem Laden der Eltern beschrieben ihn als freundlich und aufgeweckt.
Andererseits war sein Denken sehr stark darauf ausgerichtet, weitere Opfer zu finden. Das wiederum sprach gegen die volle geistige Gesundheit des Täters. In einem zweiten Prozess, der im April 1971 endete, wurde Bartsch daher auch nicht wie im Dezember 1967 zu lebenslanger Haft, sondern zu zehnjähriger Jugendstrafe und anschließender Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilt. Dieser zweite Prozess verursachte ungeheures Aufsehen, weil darin erstmals mit den Traditionen der bisherigen deutschen Psychiatrie gebrochen wurde. So kamen unter anderem Sexualwissenschaftler und psychoanalytisch geschulte Gutachter zu Wort, was kurz zuvor, in den Sechzigerjahren, in einem solchen Fall nicht vorstellbar gewesen wäre.
Obwohl Bartsch oft betont hatte, jederzeit wieder töten zu wollen, drückte ihn der Aufenthalt in der Psychiatrie derart nieder, dass er sich trotz seines bösen Dranges wieder die Freiheit wünschte. Eines der Hauptprobleme hinter Mauern war, dass der intelligente Bartsch dort keinen Ansprechpartner fand. Die Anstaltsleitung sagte ihm sehr deutlich, dass es kein Personal für eine Therapie gäbe, und die anderen Insassen erfreuten sich vor allem an den Zaubertricks,die Mutter Bartsch ihrem Sohn stets mitbrachte oder übergeben ließ. Immerhin mochten ihn die anderen und wählten Bartsch zum Vertrauenspatienten. Doch so konnte das Leben des erst 29 Jahre alten Mannes nicht weitergehen.
Die beiden einzigen Menschen, zu denen Bartsch neben seinen Eltern in dieser Zeit regen Kontakt hatte, waren der US-amerikanische Journalist Paul Moor und der damalige
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