MORDMETHODEN
Ermittlungsleiter Armin Mätzler. In vielen Briefen und Karten spiegelt sich Bartschs Kampf um seine Freiheit wieder. Das ging sogar so weit, dass der homosexuelle Serientäter im Januar 1974 die teilweise gelähmte Gisela heiratete, die ihm seit einiger Zeit Briefe geschrieben hatte. Obwohl er nicht wusste, wie es mit dem Küssen vonstatten gehen sollte, und obwohl er weiterhin den Drang spürte, Jungen zu beherrschen, arbeitete er so an einem Weg aus der Psychiatrie.
In den Siebzigerjahren war es noch möglich, auf eigenen Antrag eine Kastration durchführen zu lassen, doch einige Ärzte und Mitpatienten rieten Bartsch davon ab. Erstens sei die Wirkung einer Kastration nicht sicher und in seinem extremen Fall erst recht ungewiss, zweitens sei die Operation nicht ungefährlich, und drittens könne sie zu körperlichen Veränderungen führen. So wehrte sich Bartsch in seinen Briefen anfangs gegen jedes Ansinnen, ihn zu einer freiwilligen Kastration zu bewegen.
Doch im Herbst 1975 schlug seine Ablehnung in ein ebenso heftiges Bitten und Argumentieren für eine Kastration um. »Die Fantasie flacht ab, es gibt keine Gewalt mehr in den Fantasien, das Interesse, das krankhafte Interesse an Sex schwindet, die normale Triebstärke ist erreicht«, berichtete Bartsch über die in seinen Augen erfolgreich verlaufende Behandlung mit einem Medikament, das denSpiegel an männlichen Geschlechtshormonen senkt. Und weiter:
»Für einen Triebtäter, der normal werden will, ist diese Operation Heilung . Da sich am Körper nichts verändert, Sexualität möglich und aller abnorme Druck fort ist, der Mann sich 100 Prozent in der Gewalt hat. Ein Triebtäter, der sich in der Gewalt hat, ist kein Triebtäter mehr. Der falsche Vorwurf wurde mir gemacht, ich wolle mit böser Absicht meine ›Geschlechtslust‹ behalten. Da wird, um einen Zweck zu erreichen, in die unterste Schublade der Argumente gegriffen. Ich will nur meine Frau behalten, sie auch sexuell befriedigen, da sie sonst aufgibt, und [ich will] körperlich kein Wrack sein. Sonst nichts! Aber das Wort zeigt schon, welch gestrigen Geistes die zwei Herren [Ärzte] waren. Geschlechtslust . Wo es doch nur darum geht, zwei Menschen glücklich sein zu lassen, mit viel Pausen. Das zu ermöglichen ist human.«
Sein Antrag wurde nach weiteren Eingaben im März 1976 von der Ärztekammer Westfalen-Lippe genehmigt, obwohl das Begehren zuvor schon einmal abgelehnt worden war. Sogar Bartschs wenige Freunde spürten, dass er sich mit der angeblich Glück verheißenden Operation etwas vormachte. Andererseits war eine Kastration der einzige Weg hin zu einem normalen Leben, von dem Bartsch so sehr träumte.
Die Operation fand gut sechs Wochen später, am 28. April, im Landeskrankenhaus Eickelborn statt, in dem er seit Ende 1972 untergebracht war. Um halb elf Uhr vormittags war Bartsch tot: Herzversagen. Diese Todesursache gab zu denken, denn jeder Mensch stirbt letztlich an Herzversagen (oder »Atemstillstand«). Konnte es sich um einen Narkosefehler gehandelt haben?
Doch sowohl Rechtsmediziner Stichnoth als auch NarkosespezialistProf. Stoffregen konnten »keinerlei Operations- oder Narkosefehler feststellen«. Es kam aber heraus, dass ein junger Krankenpfleger die Narkose durchgeführt hatte, »weil das Landeskrankenhaus Eickelborn nicht über einen eigenen Narkosearzt verfügt«.
Am 6. Mai brachte der Stern dann endlich die Wahrheit: Das Herz von Bartsch war stehen geblieben, weil es durch überdosiertes Narkosegift gelähmt worden war. Nur sechs Tage vor Bartschs Operation war eine Patientin im gleichen Saal gestorben. In beiden Fällen hatte jemand einen falschen Verdampfer am Narkoseapparat mit Halothan gefüllt.
Dem jungen Krankenpfleger konnte man die Schuld an einem medizinischen Fehler, den er mangels Ausbildung gar nicht bewusst begangen haben konnte, schwerlich anlasten. Viel eher hatte Josef Hollenbeck, der Leiter der Eickelborner Chirurgie, Bartschs Tod zu verantworten – ebenso wie sieben andere Fälle, in denen Hollenbeck bereits wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung angeklagt (aber wegen Verjährung nicht verurteilt) worden war. Der Arzt hatte außerdem schon mehrfach Schadenersatzprozesse verloren, weil er Patienten im OP aus Versehen Verbrennungen zugefügt oder beim Verschließen der Wunden Wattebäusche darin vergessen hatte.
Bartschs Kastration war ein vergleichsweise kleiner Eingriff und hatte nur acht Minuten gedauert. Um halb neun Uhr morgens war sie
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