Das Raetsel des Pharao
Ben war zehn Jahre alt und vielleicht der stärkste Junge der Stadt. Seine Kraft hatte ihm schon aus manch kniffliger Situation geholfen. Bei Geometrie und Bruchrechnen nützte ihm das allerdings wenig. Sein Kopf rauchte wie eine Dampflok, als er über dem Mathe-Test brütete. Unter den wachsamen Augen von Frau Schneider, der Lehrerin, schrieben die anderen Schüler fleißig Zahlen aufs Papier. Lara war sogar schon fertig und belohnte sich mit einem Stück Schokolade.
Nur sein Blatt war noch leer.
Frau Schneider warf einen Blick auf ihre Uhr. »Noch fünf Minuten!«, verkündete sie streng.
Wenn Ben wieder eine schlechte Note in Mathe bekam, stand seine Versetzung auf dem Spiel. Und seine Mutter wäre bestimmt enttäuscht.
»Lara!«, flüsterte er leise, als sich die Lehrerin kurz wegdrehte.
Lara war nicht nur seine beste Freundin, sie gab ihm auch Nachhilfe in Mathe. Sie wusste sofort, was er wollte. Vorsichtig schob sie ihm den Zettel zu, auf den sie die Ergebnisse des Tests notiert hatte. Mit klopfendem Herzen versteckte Ben ihn unter seiner Arbeit und schrieb die Zahlen ab. Fünf Minuten. Das war genug Zeit, um das Schlimmste zu verhindern, dachte er.
Bis er den Schrei hörte.
»Igitt, ein Frosch!«, kreischte Lina, das Mädchen mit der schrillsten Stimme in der Klasse.
Im selben Augenblick waren alle Kinder auf den Beinen und sahen zum Fenster. Tatsächlich: Dort, auf dem Sims, saß ein großer grüner Laubfrosch und glotzte mit seinen bernsteinfarbenen Augen in die Runde.
»Leopold!«, rief Lara. Eigentlich mochte sie Tiere nicht besonders, aber bei Leopold machte sie eine Ausnahme. Immerhin war er der Freund von Filomenus Feuertal, dem Zauberer und Traumfänger. Und es war bestimmt kein Zufall, dass er plötzlich hier auftauchte. Ihre Mitschüler ahnten natürlich nicht, was es mit diesem Frosch auf sich hatte. Schließlich war das Abenteuer im Laden der Träume ein Geheimnis, das Ben, Lara und Nepomuk hüteten wie einen kostbaren Schatz.
»Setzt euch!«, rief Frau Schneider streng. »Der Test ist noch nicht vorbei.«
Da hüpfte Leopold plötzlich los und sprang von Tisch zu Tisch. Bei den Schülern gab es kein Halten mehr. Die mahnende Stimme der Lehrerin ging in Lärm und Gelächter unter.
Um dem Spuk ein Ende zu machen, versuchte Frau Schneider, Leopold einzufangen. Doch der Frosch war schneller und schien sich einen Spaß daraus zu machen, ihr immer wieder im letzten Moment zu entwischen. Mit einem großen Satz landete er direkt auf Bens Tisch. Frau Schneider lief ihm nach, stolperte und fiel der Länge nach hin. Die Kinder lachten, was Lara ziemlich gemein fand.
Auch Ben war das Lachen vergangen. Leopold saß ausgerechnet auf dem Spickzettel, den Lara ihm zugeschoben hatte. Die Lehrerin bemerkte ihn sofort. Sie stand auf, schob ihre Brille zurecht und richtete sich die Haare.
»Was ist das?«, fragte sie und nahm den Zettel zur Hand. Ihre Miene wurde ernst. »Ihr beiden, ich bin wirklich sehr enttäuscht von euch. Das ist Betrug, das wisst ihr doch.«
Ben spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. »Ja, Frau Schneider.«
Lara schenkte Leopold einen bösen Blick. Der Frosch quakte leise, als wollte er sich entschuldigen.
Endlich bimmelte die Schulglocke. Frau Schneider seufzte und kassierte die Arbeiten von Ben und Lara ein. »Ihr anderen legt die Stifte weg. Lina, du sammelst die Blätter ein. Ben, bring den Frosch nach draußen. Morgen meldest du dich bei mir im Lehrerzimmer. So geht es wirklich nicht weiter.«
Ben nickte und hielt Leopold die Hand hin. »Komm schon.«
Die anderen Kinder staunten nicht schlecht, als sie sahen, wie er auf Bens Hand hüpfte. Bens Laune sank unter den Gefrierpunkt. Leopold musterte ihn mit unschuldigen Froschaugen und quakte. Sprechen konnte er nur in der Welt der Träume.
Ben trug ihn aus dem Klassenzimmer. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Leopold, aber musstest du ausgerechnet während der Mathe-Arbeit hier reinplatzen? Jetzt werde ich richtig Ärger bekommen. Und Lara auch.«
Da ertönte ein begeisterter Schrei quer über den Schulhof: »Leopold!« Nepomuk kam herbeigerannt. Er war Laras kleiner Bruder. Wie immer trug er seine Brille auf der Nase und die Umhängetasche mit seinen vielen Büchern über der Schulter. Als er den Frosch auf Bens Hand sah, hüpfte er von einem Bein aufs andere. Auch Leopold schien sich zu freuen. Er machte einen Satz und landete direkt auf Nepomuks Schulter.
»Was machst du denn hier in der Schule?«, fragte
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