Mordsee
regelrecht auf. Überhaupt war alles an ihr ziemlich groß und grob: Haare, Kopf, Nase, Mund, Brüste, Hände und Füße. Sie war nicht dick, aber ihre Konturen verschwammen unter viel Fleisch über starken Knochen. Sie legte auffällige Sorgfalt auf ein adrettes und gepflegtes Äußeres und ging mit Sicherheit oft zum Friseur. Anscheinend ist sie mit ihrer körperlichen Ausstattung unzufrieden, dachte Jung. Über einer weißen Businessbluse trug sie ihren taillierten Damensakko offen. Das Boss-Label an der Innentasche war nicht zu übersehen. Für einen Hauch von Rock’n’Roll sorgten enge, schwarze Designerjeans und halbhohe Stiefel mit niedrigem Absatz. Eine teure Uhr und zwei schlichte weißgoldene Ohrclips waren alles, was sie sich an Schmuck gestattet hatte. Sie roch nach einem würzigen Duft von Hermes, wie Jung sich zu erinnern glaubte.
Nach der gegenseitigen Vorstellung kam Halsbenning ohne Umschweife zur Sache.
»Der Generalstaatsanwalt hat Sie uns auf Anraten des Polizeipräsidenten zugeteilt. Sie haben Erfahrung in der Marine?«
»Ausreichend.« Der Staatsanwalt sah ihn skeptisch an. »Glaube ich jedenfalls«, fügte Jung lächelnd hinzu.
»Das wird sich zeigen. Wir haben in ähnlich gelagerten Fällen in der Vergangenheit noch nie einen Berater gebraucht«, winkte Staatsanwalt Halsbenning lässig ab.
»Darf ich erfahren, in welchen Fällen?«, fragte Jung dazwischen.
»Das gehört hier nicht zur Sache, bleiben wir lieber bei dem vorliegenden Fall«, flocht die Staatsanwältin ein. »Ich glaube, wir werden rasch fertig werden, mit oder ohne Ihre Mithilfe, Jung.«
»So sehe ich das auch«, pflichtete ihr der Kollege bei.
»Könnten Sie mich aufklären, Herr Staatsanwalt, was genau Sie in der Sache sehen?«, fragte Jung ruhig.
»Wie Sie wünschen. Es liegt bei der Untersuchung im Falle der ertrunkenen Kadettin ein formaler Fehler vor, den wir zu korrigieren haben. Das ist alles.«
»Sie ermitteln nicht noch einmal. Habe ich das richtig verstanden?«
»Die Vernehmungsprotokolle liegen uns vor. Sie sind nach wie vor gültige Bestandteile der Beweisaufnahme. Die Bewertungen treffen wir natürlich in Unkenntnis der Beurteilungen unserer Kollegen aus Hannover, offiziell jedenfalls. So, wie es aussieht, liegt der Fall ganz klar.«
»Daran gibt es nichts, aber auch wirklich gar nichts zu rütteln, Herr Jung«, ergänzte die Riedel.
»Sie werden also keine neuen Befragungen durchführen?«
»Lassen Sie es mich einmal so sagen: Wir werden tun, was wir tun müssen. Die Kadetten haben das Schiff längst verlassen. Der Aufwand, sie nochmals zu befragen, erscheint uns unnötig. Die Sachlage ist unseres Erachtens zweifelsfrei und unstrittig.«
»Und wenn sich doch Zweifel ergeben sollten?«
»Dann steht uns die Stammbesatzung zur Verfügung. Sie sind für die Schiffsführung verantwortlich, nicht ihre Zöglinge.«
»Und warum muss ich Sie dann auf das Schiff begleiten?«
»Weil der Generalstaatsanwalt das so entschieden hat«, antwortete Halsbenning genervt. »Ich darf Sie darüber hinaus noch einmal an das korrekte Prozedere erinnern. Danach sind wir gehalten, eine Untersuchung zu eröffnen und abzuschließen.«
»Offiziell und für die Akten. Sie als Beamter verstehen doch, was damit gemeint ist, nicht wahr?«, schob die Staatsanwältin hinterher.
»Ich kann Ihnen folgen, Frau Riedel.«
»Wie schön für Sie«, kommentierte sie Jungs Ironie.
»Das begründet aber nicht die sachliche Notwendigkeit meiner Anwesenheit an Bord.« Jung ließ sich nicht abwimmeln.
»Das haben nicht Sie zu entscheiden, Jung, sondern der Generalstaatsanwalt. Die juristisch exakte Abwicklung des Verfahrens überlassen Sie uns, dafür sind wir da und vom Generalstaatsanwalt autorisiert. Es ist zwar sein ausdrücklicher Wunsch, dass Sie uns begleiten, aber nur, damit wir bei der Marine auch die Damen-Toilette finden, wenn ich das mal so salopp formulieren darf.« Die beiden Staatsanwälte lachten los, als hätten sie ein Zeichen bekommen.
Jung fand es zwecklos, in der Sache weiterzubohren. Der Generalstaatsanwalt war Begründung genug. Für seine SOKO schien im Übrigen die Untersuchung gelaufen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Vielleicht lagen sie richtig mit ihrer Einschätzung. Ihm selbst waren schon ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen.
»Wo liegt das Schiff jetzt?«, fragte Jung.
»In Québec«, erwiderte die Riedel. Jung schluckte sein Erstaunen hinunter. Niemand hätte in seinem Gesicht ablesen
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