Mordsee
gefährliches Auskühlen des Körpers nicht zu vermeiden. Bei 17 °C Wassertemperatur liegt die Überlebenszeit bei vielleicht zwei bis drei Stunden, selbst mit Neoprenanzug auch nur bei ca. vier bis fünf.
Die ›Gorch Fock‹ ist kein Motorschiff. Mal eben umdrehen ist nicht. Fahrt rausnehmen ist dabei noch das geringste Problem. Dann aber noch gegen den Wind zurückkreuzen und hoffen, den Matrosen auf Anhieb zu finden, ist das weitaus größere.
Je nachdem, wie schnell Lebensrettung vor Ort sein kann, hätte es sicherlich sein können, dass man die Ma-trosin noch hätte retten können. Ein Peilsender mag helfen, aber ist man auf See erst mal im Wasser, dann tickt die Uhr. Ein Garant fürs Überleben ist das in diesem Fall nicht im Geringsten.
Und zu den Wetterbedingungen: Windstärke sieben sind hervorragende Segelbedingungen, und zwei Meter Wellengang sind für ein Segelschiff vom Format der ›Gorch Fock‹ wie Kinderkarneval.
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na und sagt:
Tragisch für die Familie, aber ansonsten – was soll’s, täglich sterben zig Tausende, also abhaken und weiter geht’s. Windstärke sieben und zwei Meter Wellen sind wirklich nicht heftig. Mal sehen, ob die Obduktion nicht doch ein Verbrechen oder Drogen an den Tag bringt.
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Suzi sagt:
Die Kadettin ist ohne Fremdeinwirkung gestorben? Sicher, ertrunken ist sie allein, aber man (frau) fällt doch nicht einfach so über Bord.
Ich hoffe doch, dass die Staatsanwaltschaft da weiter ermittelt, denn immerhin ist es in der BW ja schon mehrfach zum Tode von Frauen gekommen, an denen ihre männlichen Kameraden die Schuld hatten.
Jung
Der Fisch musste viele Kilo wiegen. Er nippte an einem Büschel Wasserpest. Dann wälzte er sich auf den Rücken, kam an die Oberfläche und öffnete sein Maul. In das runde Loch floss das Wasser wie in einen deckellosen Gulli.
Als Sylvesterkarpfen ist er nicht mehr zu gebrauchen, dachte Jung. Er lehnte über der Brüstung des Schlossgrabens und bewunderte, wie der Fisch behäbig seine Spielchen trieb. Jung staunte, wie viele seiner Artgenossen in dem Gewässer Platz hatten. Dazwischen schwammen kleine, elegante Torpedos herum, deren Namen er nicht kannte. Ein artesischer Brunnen in der Mitte füllte das Gewässer ständig mit frischem Wasser. Sein Plätschern hatte Jungs Aufmerksamkeit erregt und ihn von der Hofterrasse aufgescheucht.
Er richtete sich von der Brüstung auf und ging zurück in den Schatten der Kastanienbäume. Der Kies knirschte unter seinen Sohlen. Den Platz hatte er sorgfältig ausgewählt. Auf dem Tisch stand ein beschlagenes schlichtes Glas, aus dem ihn ein weißgoldener Rheingauer Riesling anfunkelte. Den kühlen Wein empfand er an diesem heißen Vormittag wie ein kostbares Geschenk.
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Er liebte es, an Plätze zurückzukehren, an die er angenehme Erinnerungen knüpfte. Auch der Friseursalon in seiner Heimatstadt gehörte dazu. Es besänftigte Jung, das kühle Treppenhaus hinaufzusteigen, die Glastür aufzustoßen und das Straßengewühl hinter sich zu lassen. Oben empfing ihn ein Design, das vor Jahren einmal Avantgarde gewesen war. Der Meister verstand sich als Künstler, nicht nur als Haarkünstler. Jung glaubte zu verspüren, dass er lieber eine ambitioniertere, modernere Kunst bevorzugt hätte, ihn aber gewichtige Gründe daran hinderten. Er zog die Fäden im Hintergrund. Neben seiner Griesgrämigkeit leuchtete die Unbekümmertheit von Jungs Friseurin besonders hell.
Anika Bargenda! Schon der Name klang in seinen Ohren wie Musik. Sie war nicht aufgebrezelt, nicht so, als sollte man unbedingt an ihr selbst die Kunst ihres Handwerks und die perfekte Herrichtung weiblicher Äußerlichkeit bewundern. Sie war groß und stattlich und hätte die junge Mutti eines strammen Söhnchens sein können. Sie verstand es, ihm jedes Mal den richtigen Haarschnitt zu verpassen: kurz, sehr kurz.
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Es gab viele Plätze, an die sich Jung zurückwünschte. Er fragte sich, warum seine Sehnsucht so stark war. War sein Beruf schuld daran? Er war Leiter des S-Kommissariats bei der Bezirkskriminalinspektion Flensburg. Vor der Neuorganisation hatte seine Abteilung ›Dezernat für unaufgeklärte Kapitalverbrechen‹ geheißen. Hatte sich außer dem Namen überhaupt etwas geändert? Für ihn nicht. Seine Kollegen nannten seine Abteilung jetzt ›Super- oder Scheiß-Kommissariat‹, je nachdem, wie groß ihr Neid war. Auch sein Chef war von der neuen Organisation unberührt geblieben. Holtgreve
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