Mordsee
können, was in ihm vorging.
»Wann reisen wir?«
»Morgen. Ein Fahrer holt Sie um neun Uhr zu Hause ab. Abflug in Hohn bei Rendsburg. Wir fliegen mit einem Bundeswehr Airbus, der auch eine neue Kadetten-Crew auf das Schiff bringt.«
»Bisschen plötzlich, finden Sie nicht?«, bemerkte Jung lakonisch.
»Wir sind hier nicht in Flensburg, Mann. Mag sein, dass es bei Ihnen da oben in der Einöde des Nordens etwas geruhsamer zugeht. Dieser Eindruck drängt sich uns manchmal auf. Waren Sie nicht bis gestern im Urlaub?«
Jungs gute Laune bekam einen ersten Dämpfer. Halsbenning musste das gespürt haben.
»Seien Sie nicht so zimperlich. Sie kommen auf diese Weise mal nach Québec, gratis sozusagen. Das kriegt nicht jeder in der Polizeiinspektion Nord geboten«, bemerkte er arrogant.
Nicht nur bei uns, du Schnösel, dachte Jung und grinste breit. Laut sagte er: »Bezirkskriminalinspektion Flensburg, Herr Halsbenning. Wir haben seit einiger Zeit einen neuen Namen.«
Die Staatsanwälte ignorierten Jungs Einwurf und machten Anstalten, sich zu erheben.
»Gibt es noch Fragen, Herr Jung?«
»Ja. Ich brauche ein Visum für die Einreise nach Kanada. Bis morgen wird das schwerlich zu beschaffen sein.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Der Marine-Attaché in Ottawa ist informiert und angewiesen, das Nötige zu veranlassen. Sie dürfen nur nicht Ihren Pass vergessen. Alles Übrige bringt der Fahrer morgen mit.« Eine Art Grinsen kräuselte die Lippen des Staatsanwaltes.
»War’s das?«, drängelte die Riedel.
»Im Moment, ja. Wir werden ja noch genug Gelegenheit haben zu reden. Falls das überhaupt nötig sein sollte.« Jung lächelte die beiden an und erhob sich.
*
Im Zug zurück nach Flensburg fragte er sich, warum er eigentlich nach Kiel gefahren war. Mit ihm wollten die beiden doch gar nicht reden, geschweige denn zusammenarbeiten. Die wenigen Informationen hätte er auch über das Telefon einholen können. Und das Getue zweier anmaßender Staatsanwälte musste er auch nicht haben. Vielleicht war es doch ganz gut, schwächte er seine Bedenken ab. Lieber früher als später, womöglich zur Unzeit, wenn etwas wirklich Wichtiges seine vollständige Aufmerksamkeit erforderte. Da war es besser, man wusste, mit wem man es zu tun hatte. Die Gefahr, in brenzligen Situationen als der Gelackmeierte dazustehen, verringerte sich dadurch erheblich.
Der überstürzte Abreisetermin machte ihm Sorge. Er hatte seine Frau, als sein Beruf ihn für längere Zeit ins Arabische Meer entführt hatte, schon einmal vor vollendete Tatsachen gestellt und sie damit allein gelassen. Sie hatte das zu seiner Erleichterung gut weggesteckt. Jung glaubte, seine Frau genau zu kennen, auch das, was er ihr zumuten konnte. Aber seit dem denkwürdigen Urlaub an der Algarve hatten ihn Zweifel befallen.
Früher hatte er sich auf seine Erfahrung, seinen Verstand, seine Vernunft und die guten Absichten, die er zu verfolgen glaubte, etwas eingebildet. Und nun war er gezwungen worden einzusehen, dass auch schon ein Hauch der verborgenen Gewalten, die ihn wirklich antrieben, genügte, seine vermeintlichen Tugenden bis zur Unkenntlichkeit zum Verblassen zu bringen. Sie verflüchtigten sich wie die Rauchkringel seiner Lieblingszigarre, die er sich ab und zu gönnte. Nur den Duft behielt er lange in der Nase.
Er hatte erfahren müssen, dass er nach den gleichen Regeln funktionierte wie diejenigen, denen er von Amts wegen das Handwerk zu legen hatte. Die Vorstellung, dass es nur auf die aus finsteren Quellen gespeiste, dumpfe Gewalt von Instinkten und Gefühlen ankam, ob man zu einem obskuren Schwerverbrecher oder einem öffentlichen Wohltäter avancierte, machte ihm Angst. In seiner Verzweiflung neigte er dazu, zwischen beiden keinen Unterschied zu machen und beide gleichermaßen widerlich zu finden.
Ihm graute vor den Menschen, und er litt darunter, dass er immer öfter in Fatalismus verfiel. Er machte sich Sorgen um sich selbst. Wenn er sich daran erinnerte, dass er einmal verliebt gewesen war oder sich vielleicht noch einmal verlieben könnte, schüttelte er nur den Kopf oder lachte höhnisch, je nachdem, ob er nüchtern war oder schon ein, zwei Gläser Rotwein intus hatte. Bei dem Gedanken an Flirts, Affären oder One-Night-Stands wurde ihm übel. Und nicht nur wegen seiner Ängste vor AIDS oder diversen anderen Krankheiten. Die Idee, einen Begleitservice zu engagieren, kam ihm absurd vor, ganz zu schweigen von Callgirls und
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