Mordsidyll
Reifen wendeten und davonrasten. Die beiden passten nicht in das Bild. Ãberhaupt passte hier gar nichts, dachte Lebrecht und zog an seiner Zigarette.
Er blickte zur StraÃe vor dem Gefängnis, wo der regungslose Körper lag. Wahrscheinlich tot. Er schüttelte den Kopf, als ob er nicht glauben könnte, was er soeben gesehen hatte. Dabei bewegte sich sein schütteres Haar keinen Millimeter, so straff klebte es an seinem Schädel. Durch den Nieselregen hatte er nicht alle Details erkennen können, doch was er gesehen hatte, reichte ihm. So hatte es nicht laufen sollen.
Lebrecht wollte gerade die Zigarette durchs Fenster wegschnippen, als ihm etwas einfiel. Schnell zog er seine Hand zurück. Er durfte keine Spuren hinterlassen. Sorgfältig drückte er die Kippe in dem überquellenden Aschenbecher seines Mercedes aus. Dann griff er nach seinem Handy, das achtlos auf der Mittelkonsole lag, und versuchte mühevoll mit seinen dicken Finger die kleinen Tasten zu bedienen.
»Ja!«, rief eine schroffe Stimme, bevor Lebrecht das Telefon an sein Ohr halten konnte. »Hast du alles erledigt?«
»Es gab Komplikationen«, antwortete Lebrecht ruhig.
»Du willst mir doch nicht sagen, dass er dir entwischt ist!«
»Das nicht. Aber eine Frau hat ihn niedergestochen.«
»Wie niedergestochen? Auf offener StraÃe?«
»So ist es. Und sie hat die CD eingesteckt.«
Nach kurzem Schweigen am anderen Ende der Leitung, blaffte sein Auftraggeber: »Sieh zu, dass du sie schnappst und die CD bekommst! Dafür bezahle ich dich schlieÃlich!«
»Es gibt noch ein weiteres Problem«, erklärte Lebrecht unbeeindruckt. »Hier sind zwei Typen aufgekreuzt. Sahen aus wie russische Schmalspurganoven. Die Deppen haben versucht, die Frau zu erwischen. Haben sie allerdings nicht gekriegt. Kann sein, dass die uns vielleicht in die Quere kommen. Aber keine Sorge, ich hab das im Blick. Die Frau ist in den Wald gerannt, ich weiÃ, wo sie rauskommen wird. Ich hänge mich dran.«
»Das will ich schwer hoffen. Wer ist sie? Kennst du sie?«
»Nein, ich habe nicht die geringste Ahnung, was hier vorgeht. Sie trug ein Kopftuch, wie eine Türkin. Ich werde die Dinge klären.«
Lebrecht trennte ohne ein Wort des Abschieds die Verbindung, zündete sich erneut eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Er hatte Routine in seinem Job, nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Wer zu hastig handelte, machte Fehler. Und er machte keine Fehler. In aller Ruhe lieà er die Ereignisse Revue passieren. Die Frau war mit dem Bus gekommen, folglich würde sie mit aller Wahrscheinlichkeit nach wieder mit einem Bus den Rückweg antreten.
Lebrecht schaltete sein Navigationsgerät ein. Er klickte sich durch einige Menüs, bis er die gewünschte Karte vor sich sah: die Haltestellen im Standortumkreis. Mit einem Blick war ihm sonnenklar, welche Station die Frau anpeilen würde. Aus Gewohnheit öffnete er das Handschuhfach und vergewisserte sich, dass seine Automatik noch darin lag. Erst dann startete er den Motor.
*
Als Anna sich erschöpft ihrem Hof näherte, hörte sie bereits das Muhen der Kühe. Das Vieh hatte volle Euter und mochte offensichtlich keine Abweichung von den festen Melkzeiten. Doch Anna war völlig ausgepumpt. Die Verfolger hatte sie abhängen können, und auch an der Bushaltestelle war sie allein gewesen. Während der ganzen Fahrt hatte sie angespannt aus dem Fenster gestarrt, aber niemand schien ihr zu folgen. Sie hatte es tatsächlich geschafft.
Als sie die Tür zu ihrem Bauernhaus aufsperren wollte, sah sie, dass ihre Jeans und ihr Mantel von oben bis unten mit Schlamm bespritzt waren. Mist! Bestimmt würden sich die anderen Fahrgäste an sie erinnern, schoss es Anna durch den Kopf. Für eine heiÃe Dusche blieb ihr keine Zeit, obwohl sie sich danach sehnte. Sie empfand das Bedürfnis, sich in jeglicher Hinsicht reinzuwaschen.
In der Diele hängte Anna ihr Kopftuch am Kleiderhaken auf, schlüpfte aus ihren dreckigen Goretex-Schuhen und ging in den kleinen Raum neben der Küche. Hier entledigte sie sich ihrer Kleider und stopfte sie mitsamt der Unterwäsche in ihre altersschwache Waschmaschine. Müde schüttete Anna das Pulver ins Fach, drückte die Tür zu und betätigte den Schalter. Sofort dröhnte das vertraute Rattern durch das Haus. Das beruhigte Anna für einen kurzen Moment. Doch das
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