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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Nach dem letzten Klatschen verstummte auch das Kreischen abrupt, und Paula fühlte sich elend und schuldig, ohne zu wissen, weshalb. Als alles ruhig war, saß ein Mann ohne Gesicht, der trotzdem ihr Vater war, vor einer stockfleckigen Tapete mit blassen Rosen zwischen schneckenförmigen Ornamenten, im Hintergrund glänzte ein schwarzes Klavier, obwohl es in jenem kahlen Raum nie ein Klavier gegeben hatte, lediglich im Speisesaal der Anstalt hatte eines gestanden. Sie atmete die Mischung aus Schweiß, Urin, Salmiak und aufgewärmtem Kaffee, ein pelziges Gefühl umgab sie wie eine Pfirsichhaut. Da war der Strick, der aus der Decke wuchs, einer weißen Zimmerdecke, höher als der Himmel. In einem anderen Raum, er hatte keine Wände, lag ihr Vater auf einem seidenen Kissen. Er wirkte mickrig, in seinem Hochzeitsanzug, mit gräßlich rosig geschminktem Gesicht. »So sieht er nicht aus«, rief Paula und zeigte auf die blauen, aufgeschwollenen Lippen. Neben ihr standen ihre Brüder. Thomas, der Jüngere, und Bernd, der immerzu das Wort »Leichengift« flüsterte. Wie stets an dieser Stelle erschien ihre Mutter, die einen Rosenkranz in ihren Händen hielt und zu ihr sagte: »Du brauchst ihm nicht nachzuweinen, Paula, er hat uns alle ins Unglück gestürzt.« Diese Worte sagte sie jedesmal. Selbst Alpträume erliegen gewissen Gewohnheiten, auch wenn Angst und Ekel dadurch nicht an Intensität verloren.
    Was danach kam, war neu. Paula merkte, daß etwas sie verfolgte. Etwas Rotes, Gnomenhaftes, es ging eine unheimliche, nicht genau definierbare Gefahr davon aus. Es hatte das Wesen von Max. Sie lief auf wattigem Untergrund, wie Moder, sie sank ein, das Rot kam näher, seine Form löste sich auf, es wurde größer, tiefer, dichter, drohte sie von allen Seiten zu ersticken. Nackte rosa Krallen griffen nach ihr, und Simon sagte: »Du mußt es totmachen, Mama.« Es hatte auf einmal das Gesicht von Max, Paula griff danach, spürte Widerstand, endlich greifbaren Widerstand, in einer Umgebung, in der alles andere wolkenhaft war. Es ging plötzlich ganz leicht, sie mußte gar nichts tun, mußte es nur töten wollen.
    Dann war alles leer um sie, nur noch der Kadaver des Hamsters lag da, zuckend auf dem Küchenboden, daneben sein Gedärm, wie ein Knäuel ineinander verschlungener Regenwürmer. Nein, jetzt war es ein gelber Vogel, der da auf rauhen Holzplanken lag, und endlich kam eine kalte Schwärze und verschlang alles, das rote, gnomenhafte Wesen, den Vogel, einfach alles, und Doris stand in Paulas Küche, in einem blauen Kleid mit Fransen. Sie war wunderschön und sagte: »Los, beeil dich, Paula, wir müssen zur Premiere, wir müssen uns noch schminken.« Sie kam näher, lächelte, dann sagte sie: »Wie du aussiehst, Paula! Schnell, geh dich waschen, wir kommen sonst zu spät.« Paula lief ins Bad, das Wasser rauschte hinter dem Plastikvorhang, sie wartete davor, es dauerte immer eine Weile, bis es die richtige Temperatur erreicht hatte. Sie hörte Simon rufen: »Mama! Mama? Bist du das, Mama?«
    Plötzlich zuckten grellweiße Lichtblitze auf, ätzten in die Augen, Paula taumelte gegen die Wanne und sank auf den Fußboden. Die weißen Fliesen reflektierten das Neonlicht.
    Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie wach war, und ein paar weitere, ehe sie begriff. Simon stand in seinem rosa Schlafanzug vor ihr und rieb sich die Augen. »Mama? Ist jetzt Früh? Ist heute Kindergarten?«
    Paula atmete erleichtert durch. Sie stand auf und stellte die Dusche ab. Ihr Geräusch hatte ihn wohl geweckt, sein Zimmer lag neben dem Bad. Sie nahm ihn in den Arm und brachte ihn zurück in sein Bett. »Es ist alles gut, mein Schatz, schlafweiter. Mama hat nur schlecht geträumt.« Simon schlüpfte in sein Bett und gähnte: »Gut, daß noch nicht Morgen ist. Ich bin nämlich noch nicht fertig mit Schlafen.« Paula deckte ihn zu und gab ihm einen Kuß auf sein weiches, glattes Haar.
    »Mama?«
    »Was ist?«
    »Ich will keinen Hamster mehr. Ich will lieber einen Hund.«
    Paula seufzte. »Darüber reden wir noch. Jetzt schlaf wieder. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Aus Erfahrung wußte Paula, daß sie jetzt nicht sofort wieder einschlafen konnte. Sie schlüpfte in ihren abgewetzten Männerbademantel, schlich barfuß in die Küche und setzte Wasser auf. Eine Kerze warf lange Schatten. In solchen Nächten ertrug sie kein elektrisches Licht. Während sie mechanisch die gewohnten Handgriffe verrichtete, bemühte sie sich, nicht auf den tellergroßen Blutfleck vor

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