Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
gerade lustlos an einer Heckenrose neben dem Eingangstor herum, als sie über den Gartenzaun hinweg von jener alten Frau angesprochen wurde, der Max seine Errettung von dem morschen Ast und der Hamster seinen frühen Tod verdankte. Sie trug dieselbe schwarze Kleidung wie neulich, auch den seltsamen Hut, und sah Paula aus wachen, dunklen Äuglein an. In holprigem Deutsch, mit einem strengen Akzent, beklagte sie den Zustand des Gartens, der zweifellos verwahrlost war, auch wenn Doris ihn euphemistisch »verwunschene nannte.
»Mei Junge kann des wieder richtig mache«, erklärte sie eifrig, und ehe Paula etwas sagen konnte, winkte sie und rief mit ihrer dünnen Altweiberstimme etwas in ihrer Sprache. Russisch. Der »Junge«, ein recht kräftiges Mannsbild, stand urplötzlich hinter der Alten, die ihm gerade bis zur Brust reichte. Er hielt die Hände auf dem Rücken gefaltet, offensichtlich fühlte er sich nicht ganz wohl bei der Sache. Paula vermied es, ihn zu auffällig anzustarren. Sein Haar war filzig und falb, aber die Wangen glänzten frisch rasiert. Sehr oft schien er sich nicht zu rasieren, ein frischer Schnitt zog sich über den linken Wangenknochen. Seine Augen changierten zwischen Eisgrau und Grün. Kühle Augen, die viel sahen und wenig preisgaben. Der schmale Mund schien stets zu einem spöttischen Lächeln anzusetzen, das aber niemals zustande kam. Der Begriff »Nachtschattengewächs« ging Paula durch den Kopf. Tatsächlich sah er aus, als schliefe er zu wenig. Er mochte in ihrem Alter sein, vielleicht auch jünger. Hose und Jacke aus gutem Stoff saßen korrekt, waren aber an den Kanten und Nähten abgestoßen, die Kleidung von einem, dem es mal besser gegangen war und der nun bemüht war, gewisse Standards zu erhalten. Bei einem seiner braunen Halbschuhe hatte sich die Sohle ein wenig gelöst, so daß es aussah, als ob der Schuh Paula angrinste.
»Sie sind Gärtner?«
Er schüttelte den Kopf, eine winzige, verhaltene Bewegung nur, und trat einen Schritt auf Paula zu.
»Nicht wirklich«, sagte er, und Paula wagte nicht zu fragen, was er denn wirklich sei.
»Arbeitet auf’m Friedhof«, erklärte die Mutter. »verdient nit viel Geld damit.«
Paula zögerte. Die Alte hatte schon recht. Bald würden Massen an Laub das ohnehin schüttere Grün des schattigen Rasens ersticken, die Sträucher könnten einen Schnitt dringend gebrauchen, und sie, Paula, hatte weder Zeit noch Lust, diese Arbeit in Angriff zu nehmen. Allerdings war Paulas finanzielle Lage weniger üppig, als es nach außen hin den Anschein haben mochte. Mit ihrem Verdienst bei der Zeitung und den Unterhaltszahlungen von Klaus an Simon kam sie gerade so zurecht, an Personal war nicht zu denken. Andererseits würde Tante Lilli sicher etwas dazu beisteuern, ein Wort von Paula würde genügen. ›Wenn irgend was mit dem Haus ist, sag’s mir nur, Paulakind. Laß alles machen, was nötig ist, ich zahle das.‹ Der wahre Grund für Paulas Zögern war ein anderer.
Die alte Frau las Paulas geheime Gedanken. »Is’ wegen der Polizei? Der hat nix gemacht, ich weiß des.«
Paula gab sich einen Ruck und wandte sich direkt an ihn: »Es ist mir egal, was Sie … ich meine, Sie können gerne meinen Garten in Ordnung bringen.«
Sämtliche Runzeln im Gesicht der Alten zogen sich in die Waagerechte, der Mann sah Paula für einen kurzen Moment mit einer schier unhöflichen Direktheit an, dann kündigte sich so etwas wie ein Lächeln in seinen Augen an. Der Grund dafür war Simon, der angelaufen kam und die Besucher unverhohlen neugierig musterte. Er nickte dem Kind freundlich zu und sprach dann wenige Worte auf russisch mit seiner Mutter. Von Geld war noch keine Rede gewesen. Paula schnitt das Thema von sich aus an und bot ihm fünfzehn Mark Stundenlohn für die Gartenarbeit, was er sofort annahm. Sie hatte das Gefühl, daß er auch weniger akzeptiert hätte. Die beiden wandten sich zum Gehen.
»Da ist noch was.« Paula hatte es leise gesagt und nur zu ihm. Er drehte sich um, sie befanden sich außer Hörweite der Mutter.
»Ja?«
Paula straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. »Sie warnen mich vorher, wenn Sie nachts um mein Haus schleichen. Damit ich mich nicht wieder so erschrecke.«
Drei Tage später, es war Donnerstag, der 13. Oktober, werkelten Paula und Simon in der Küche. Noch mehr als die Gartenarbeit liebte Simon es, mit seiner Mutter zu kochen. Sie wurden durch einen Anruf unterbrochen, dem Paula insgeheim schon den ganzen Tag
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