Mordsmöwen
Das war es dann also. Mit Knut und mit unserem schönen, sorglosen Leben. Und wir sollen auch noch das Fass zum Überlaufen gebracht haben …
»Was hast du denn da am Hintern kleben, Grey?«, fragt Harry seinen Sohn und rupft ihm samt einigen Flaumfedern einen verklebten Zettel aus dem Gefieder.
Grey gibt keinen Mucks von sich, weil er wohl befürchtet, seinen Tauchgang im Crêpes-Eimer nun doch noch beichten zu müssen. Ich hätte ja meinen Schnabel gehalten.
»Das ist ein Rezept«, murmelt Harry bei näherer Betrachtung des Papierfetzens, »so viel ist mir nach meiner Zeit als Türsteher bei der Bäckerei klar. Wie kommst du denn da dran?«
»Ey, chill mal, das ist doch egal.« Grey erntet einen warnenden Blick seines Vaters. »Na schön, okay, das muss bei Knut auf der Küchenplatte gelegen haben und versehentlich an meinem Hintern kleben geblieben sein.«
Unser Scheff legt den Kopf schief. »Balthasar, kannst du lesen, was da draufsteht?«
Balthasar wirft einen Blick auf den teigverschmierten Zettel. »Da steht: ›Knuts Crêpes-Teig‹.«
Ich ziehe die Federn über der Stirn zusammen. »Weshalb hat Knut eigentlich noch den Crêpes-Teig für den nächsten Tag vorbereitet, wenn er da bereits plante, sich umzubringen? Da stimmt doch was nicht. Außerdem hätte er doch eines ganz sicher mit ins Grab genommen: das Rezept für seine weltberühmten Crêpes. Was ist, wenn er …?«
»Boah, wie geil ist das denn?«, fällt mir Grey ins Wort. »Ich habe das Rezept für Knuts weltberühmte Crêpes!«
Balthasar kratzt sich nachdenklich mit dem Flügel am Kinn. »Wir sollten herausfinden, wie man die Dinger herstellt – dann können wir das große Geschäft machen.«
»Ich weiß, wie man an eine Flasche Amaretto drankommt«, wirft Alki ein.
»Und ich weiß, wo es hübsche Kochschürzen gibt«, ruft Suzette.
Ich schüttle den Kopf. »Könnt ihr mir mal zuhören? Es hat den Anschein, als hätte Knut seinen Selbstmord geplant – er hat sogar noch einen Abschiedsbrief geschrieben. Dann hätte er sich aber doch nicht die Mühe machen müssen, den Crêpes-Teig für den nächsten Tag vorzubereiten, und er hätte bestimmt nicht sein Rezept liegen lassen. Habt ihr eigentlich mal drüber nachgedacht, dass Knuts Selbstmord gar kein solcher gewesen sein könnte?« Ich mache eine Kunstpause. »Sondern ein als Selbstmord getarnter Mord?«
»Du meinst, ein Konkurrent könnte das Rezept abgeschrieben haben, nachdem er Mensch-Knut umgebracht hat?«, überlegt der Scheff.
»Ist doch egal, tot ist tot«, jammert Jonathan. »Und wir brauchen was zu fressen.«
»Oder einen neuen Dealer«, ergänzt Helgi, dem der Arsch sichtlich auf Grundeis geht, nachdem er schon glaubte, durch seine Auswanderung nach Sylt endlich wieder eine sichere Existenz gefunden zu haben.
Ich bin kurz davor zu schreien. »Aber versteht ihr denn nicht? Knut gibt einer räuberischen Möwenbande die Schuld an seinem Selbstmord – damit meint er uns! Das können wir doch nicht auf uns sitzen lassen.«
»Sollen wir also verhungern?«, fragt Harry. »Balthasar, lies uns das Rezept vor.«
»Mehr als die Überschrift kann ich nicht mehr erkennen. Alles voller Teig. Und ich fass ganz bestimmt nicht an, was dein Sohn am Hintern kleben hatte.«
»Willst du damit sagen, dass mein Sohn einen dreckigen Hintern hat?«, geifert Harry.
»Schluss jetzt!«, ruft Baron Silver de Luft dazwischen. »Ahoi hat recht. Da stimmt etwas nicht, und wir lassen uns nicht die Schuld am Tod eines Menschen geben. Auf geht’s! Möwen können einiges, auch einen Kriminalfall lösen. Und zwar schneller als jeder Mensch.«
Schneller sogar, als je eine Möwe gedacht hätte.
Hinter der Glasscheibe des Surfshops gegenüber entdecken wir ihn plötzlich. Die langen, zum Zopf gebundenen sonnengebleichten Haare, die Brille, die sehr schlanke Statur in viel zu weiten Hosen …
»Unser Knut!«, kreischt der Scheff und fliegt quer über die Friedrichstraße auf den Laden zu, in den die Menschen gehen, wenn sie Bretter für das Meer und wasserdichte Federkleider zum Tauchen brauchen. Ich werde das nie verstehen. Der ganze Umstand, nur um sich aufs Wasser zu setzen und zu dümpeln … da macht keine Möwe einen solchen Aufriss drum.
Jedenfalls warne ich den Scheff noch, dass das hinter der Scheibe nicht unser Mensch-Knut sein kann, auch wenn der Typ ihm verdammt ähnlich sieht. Könnte das sein Bruder sein? Dieser Sönke, an den der Abschiedsbrief ebenfalls gerichtet war? Knut kennt uns
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