Mordsmöwen
unsere Taubenpost taugt nix, die Graumelierten wissen noch nicht mal von dem Fall. Aber in der ›Sylt aktuell‹ berichten sie bereits über die unverzichtbare Arbeit unserer Schoko-Crêpes!«
Ich lege den Kopf schräg. Balthasar übertreibt sicher mal wieder hemmungslos. Wahrscheinlich sind wir nicht mal mit einer Feder erwähnt. Wie auch?
»Lies vor«, befiehlt unser Scheff. »Aber nicht so laut, bitte.«
Balthasar nimmt seine Brille ab und guckt fragend. »Warum Scheff, sollen doch ruhig alle erfahren, was wir für eine tolle Truppe sind.«
»Ich habe Kopfschmerzen!«
Beleidigt setzt Balthasar die Brille wieder auf, spannt die Zeitung zwischen den Flügeln und liest vor, was er darin entdeckt hat.
Crêpes-Knut vermisst
Westerland. Das Verschwinden des beliebten Crêpes-Verkäufers Knut J. sorgt für Unruhe unter Insulanern und Urlaubern. Er werde seit den Mittagstunden des gestrigen Tages vermisst, erklärt seine Mutter Johanna J. (72) aus Keitum und bestätigt damit eine entsprechende Vermisstenmeldung bei der Westerländer Polizei.
Das plötzliche Verschwinden des als zuverlässig und lebenslustig geltenden 32-Jährigen gibt Rätsel auf. Knut J. soll einen Abschiedsbrief hinterlassen haben, in dem er ankündigte, sich das Leben zu nehmen. Allerdings hat er am Tag seines Verschwindens offenbar noch wie immer den Teig für den gesamten Arbeitstag vorbereitet. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass sich Fremde Zugang zu seiner Wohnung verschafft haben. Unklar ist auch die Ursache für die zahlreich verstreuten Federn in der Wohnung.
Der Crêpes-Verkäufer wurde zuletzt am Vorabend seines Verschwindens in Begleitung seiner Freundin in einem Strandkorb am Hörnumer Oststrand gesehen, wo es zu einem privaten Streit kam. Mit dem gemeinsamen Pkw fuhr die Partnerin des Vermissten von dort aus allein zu einem Bekannten, um dort zu übernachten. Inwieweit dieser Streit mit dem rätselhaften Verschwinden des Knut J. spätestens am darauffolgenden Morgen zu tun hat, ist noch unklar, ebenso, ob und wann der Vermisste eventuell noch einmal in seine Wohnung zurückgekehrt ist. Die Polizei geht von einem Suizid aus, ein Verbrechen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Knut J. ist 1,83 m groß, sehr schlank, trägt eine runde Brille und hat blonde lange Haare, die meist zu einem Zopf zusammengebunden sind. Zuletzt trug er eine weite blaue Stoffhose, ein weißes T-Shirt, blaue Croqs und eine auffällige dunkelblaue Schirmmütze mit aufgenähtem gelbem Fisch. Er verließ die Wohnung ohne Ausweisdokumente oder EC -Karte. Sein Handy wurde zuletzt in Rantum geortet, danach verliert sich die Spur. Zeugenhinweise nimmt die Kriminalpolizei in Westerland oder jede andere Polizeidienststelle entgegen.
Unser Scheff stützt sein Kinn auf den Flügel. »Hm, vielleicht hängt das alles irgendwie mit Knuts Freundin zusammen. Worüber haben die beiden sich an dem Abend wohl gestritten?«
»Sie hatten doch eine Dauerbrutpartnerschaft«, sagt Harry. »Was, wenn sie Balzhandlungen mit einem anderen unterhalten hat? Vielleicht sogar mit diesem Sönke. Möglicherweise ist Knut zufällig dahintergekommen und wollte seine Freundin nicht dem Rivalen überlassen. Es kam zum großen Streit, zum Revierkampf mit dem Nebenbuhler, bei dem Knut umgebracht wurde.«
Ich lege meine Stirn in Federn. Nach Harrys eigener Vorgeschichte kann ich verstehen, dass er so denkt. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass mehr hinter dieser Sache steckt.
»Deshalb haben wir Knuts Auto auch nicht gefunden«, spinnt Harry den Faden weiter. »Damit ist die Freundin abgehauen. Wahrscheinlich ist sie aufs Festland. Ihr Geliebter übernimmt die Beseitigung der Leiche. Sobald Gras über die Sache gewachsen ist, setzt er sich ebenfalls ab, und die beiden bauen sich irgendwo im Süden ein neues, gemeinsames Nest.«
»Klingt wie ein Kitschkrimi«, sagt Grey und ist offenkundig stolz, dass er das Wort überhaupt aus seinem Schnabel gebracht hat. »Aber auf Kitsch hab ich keinen Bock, da mach ich nicht mehr mit.«
* * *
Am Abend des zweiten Tages unserer Schoko-Ermittlungen beruft Baron Silver de Luft eine große Sitzung ein. Es fehlen nur noch Suzette aus Kampen und Alki von seinem Posten beim Autozug. Dorthin haben wir ihn versetzt, nachdem er gestern in Morsum Ärger mit irgendwelchen ihr Revier verteidigenden Schnapsdrosseln bekommen hat.
Es herrscht kein Wind heute, nicht das leiseste Lüftchen umweht unsere gedankenschweren Köpfe. Ich schaue
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