Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
die Waffe hob, machte sich eine seltsame Spannung im Drachenkopf bemerkbar, als hätte die Klinge plötzlich zu leben begonnen.
Vorsichtig, dichtauf gefolgt von Erij, benutzte er eine Treppe und stieg in das nächste Stockwerk hinauf.
Dort fand er einen Saal, der sich kaum von dem Raum in der Etage darunter unterschied, bis auf eine Metalltür am einen Ende, das Metall von der gleichen Art wie die Säulen der Zauberfeuer.
Wechselbalg
begann plötzlich ein Geräusch auszustoßen, ein durchdringendes Summen, das seinen Fingern weh tat: je näher er der Tür kam, desto stärker wurde die Erscheinung. Er lief auf das Tor zu in der Annahme, daß Tempo der beste Schutz vor einem Hjemur-Angriff sein würde, und verharrte verblüfft, als die riesige Tür ungehindert aufging und ihn willkommen hieß.
Noch überraschter war er, als er Metall und Lichter vor sich erblickte, die sich in die Ferne erstreckten, farbenfroh schimmernd und mit der Energie der Feuer erglühend.
Wechselbalg
vibrierte nun förmlich und begann seinen Arm zu betäuben.
Das Feld, auf die eigene Energiequelle gerichtet, würde alle Tore vernichten.
Das Vibrieren der entgegengesetzt gerichteten Kräfte zog sich den Arm hinauf in sein Gehirn, bis er fast nicht mehr wußte, ob das Jaulen der Klinge sich in der Luft abspielte oder in seinen protestierenden Sinnen.
Er hob die Waffe, den Tod erwartend, und stellte fest, daß der Zustand erst wieder schlimmer wurde, wenn er das Schwert nach rechts richtete. Dort verstärkte sich der Schmerz.
»Vanye!« rief Erij und packte ihn an der Schulter. Nackte Angst spiegelte sich auf dem Gesicht des Bruders.
»Dies ist der Weg«, sagte Vanye zu ihm. »Bleib hier, halte mir den Rücken frei.« Aber Erij gehorchte nicht. Als Vanye den Saal betrat, spürte er seinen Bruder dicht hinter sich.
Er ahnte die Wahrheit: es widersprach Morgaines umsichtiger Art, ihm allen Ernstes eine so wichtige Aufgabe zu übertragen, ohne ihm exakte Anweisungen zu geben. Dazu hatte kein Anlaß bestanden: das Schwert selbst führte ihn mit seinen akustischen und Schmerzimpulsen. Nachdem er eine Weile durch den schimmernden Korridor aus
qualin
-Werken geschritten war, löschte das Geräusch alle Sinne aus, bis nur noch das Sehen übriggeblieben war. – In seinem Blickfeld stand ein alter Mann, haarlos und faltig und graugekleidet, ein Mann, der ihnen die Hände entgegenstreckte und lautlos flehende Worte formte, das alte Gesicht war blutbesudelt.
Vanye hob drohend sein Schwert, bedrohte den Alten mit der fürchterlichen Spitze, aber die Vision wich nicht zur Seite, versperrte ihnen den Weg mit ihrem Leben.
Eine Stimme sagte in ihm:
Das ist Thiye, Thiye Thiyessohn, Lord von Hjemur.
Abrupt stürzte der alte Mann zu Boden, während seine Hände haltsuchend durch die Luft fuhren; in seinem Rücken steckte ein Pfeil, das rote Blut breitete sich weiter aus.
Ein Stück weiter hinten im Saal stand eine Gestalt, grau und grün, der junge Lord von Chya, der eben den Bogen senkte. In überstürztem Tempo lief Roh auf sie zu, wobei er sich den gespannten Bogen über die Schulter hängte.
Sofort versuchte Vanye
Wechselbalg in
die Scheide zu stecken. Hoffnung stieg in ihm auf. Als die Spitze der Klinge ihre Ruhestätte fand, trat eine Stille ein, die geradezu überwältigend war: Vanyes überlastete Ohren vermochten Rohs Stimme kaum zu hören. Er spürte Rohs eifrige Finger auf seinen Armen und empfand selbst diese Berührung als vage.
»Vanye, Cousin!« rief Roh und ignorierte die Gefahr, die von seinem Erzfeind Erij ausging, der mit gezogenem Schwert daneben stand. »Cousin Thiye – Liell – sie kämpften miteinander. Morgaine ist ihnen entkommen, aber…«
»Lebt sie?« fragte Vanye.
»Sie lebt, aye, sie lebt. Sie hat die Feste in der Hand, Vanye, und will sie vernichten. Kommt, kommt fort von hier. Der Bau wird in sich zusammenstürzen. Beeilt euch!«
»Wo ist sie?«
Roh deutete mit den Augen nach oben, zur Treppe. »Sie hat sich dort verbarrikadiert. Sie hat sich ihre Waffen zurückerobert und ist gewillt, jeden zu töten, der in ihre Reichweite kommt. Sie ist verrückt. Sie wird dich ebenfalls umbringen. Man kann nicht vernünftig mit ihr sprechen.«
»Und Liell?«
»Der ist tot. Alle sind tot, und die meisten Diener Thiyes sind geflohen. Du bist deines Eides ledig, Vanye. Du bist frei. Flieh von diesem Ort. Du brauchtest nicht zu sterben.«
Rohs Finger zupften an ihm, seine dunklen Augen wirkten gequält, doch plötzlich löste
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