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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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wenn er nach Hause käme – dann schlug Mr Norland vor, eine Tasse Tee zu trinken. Als er hörte, dass ich kein Geld bei mir hatte, drückte er mir einige warme Münzen in die Hand und führte mich ins Café.
    Und so saß ich und wartete, ganz allein. Ich saß ganz still und sah dem Treiben zu, als gehöre ich nicht dazu. Mein Tee wurde kalt und hinterließ einen braunen Ring auf dem glänzenden Porzellan, während glückliche Touristen um mich herumwuselten. Leute setzten sich zu mir und gingen wieder. Ein Paar stritt sich leise darüber, in welchen Film es am Abend gehen sollte. Der Typ erboste sich richtiggehend. Vor lauter Wut glühte sein Gesicht feuerrot, also drehte ich den Kopf weg und versuchte, nicht mehr zuzuhören.
    Eine lebhafte deutschsprachige Dame in einem khakifarbenen Regenmantel setzte sich zu mir und aß einen Karottenkuchen. Dann vergaß sie ihre Postkarten. Ich rief ihr nach, doch sie war schon weg. Ich wischte einen Tropfen buttrigen Gusses von der Plastiktüte und blätterte durch, was sie so gekauft hatte. Gleich die erste war eine Postkarte von der Frau, die über die Felder blickt, die, die mir so gut gefallen hatte. Am liebsten hätte ich wieder geweint. Doch ich hielt mich zurück. Ich würde nicht weinen. Stattdessen würde ich weiter in der Menge nach Louis suchen und mich innerlich ohrfeigen, dass ich die beiden überhaupt aus den Augen gelassen hatte.
    Eine Stunde verging, die längste Stunde meines Lebens. Mr Norland kam vorbei, um mir zu sagen, dass seine Schicht jetzt vorüber sei, dass er aber seine Kollegen über meinen Fall informiert hätte. Dann schlug er mir sanft vor, nach Hause zu fahren.
    »Kann ich mir Ihr Telefon noch einmal ausborgen?«, fragte ich ihn. Und so rief ich einmal mehr Mickeys Handy und unsere Festnetznummer an – sinnlos. Mickeys Handy war tot, und zu Hause meldete sich nur meine dumm-fröhliche Stimme, während im Hintergrund Louis gurgelte, für alle Zeiten auf den Chip des Telefons gebannt.
    »Wahrscheinlich sind sie längst auf dem Heimweg, oder was meinen Sie?«, fragte ich, und Mr Norland nickte. Meine Stimme zitterte ein wenig, als ich mich bei ihm bedankte. Also reckte ich entschlossen das Kinn, was tapferer aussah, als ich mich fühlte. Als die Sonne am cremefarbenen Sommerhimmel unterging, machte ich mich auf den Heimweg.
    Ich geriet mitten in die Rushhour. Der Zug spuckte eine Unmenge von Menschen aus, ich aber schoss aus der Menge heraus wie eine Gewehrkugel und schlug sofort den Weg ins Dorf ein. Natalie, die ich in der Geburtsvorbereitungsgruppe kennen gelernt hatte, winkte mir, als ich ihr vor dem Pub begegnete, wie sie ihren todschicken Kinderwagen hinter sich herzog, doch ich blieb nicht stehen, um mit ihr zu reden. Ich konnte jetzt nichts sagen. Ich trieb mich selbst den Hügel hinauf, bis ich über der schwülen Heidelandschaft stand. Gewöhnlich überkam mich hier ein Gefühl der Erleichterung, und ich blieb stehen, um all die Düfte in mich einzusaugen, doch dafür hatte ich jetzt keine Zeit. Ich brauchte dringend meinen Inhalator, um in der feuchten Abendluft überhaupt atmen zu können, doch zumindest war jetzt das Haus in Sichtweite. Das Vorderfenster war hell erleuchtet, und ich legte vor Gott ein Gelübde ab: Ich würde tun, was immer er wollte, ich würde nie wieder lügen, fluchen oder mit Mickey streiten, wenn er jetzt nur mit Louis zu Hause war, und alles wieder normal wäre.
    Ich läutete. Stimmen – Gott sei Dank – da waren Stimmen! Aber niemand öffnete. Ich läutete wieder und ließ meinen Finger auf dem vergoldeten Klingelschild ruhen, das Mickey so sehr hasste, dass er es immer hatte austauschen wollen. Ich ließ ihn dort, bis das Gerede endlich aufhörte. Stille trat ein, was meine Anspannung noch mehr steigen ließ. Dann hallten Schrittgeräusche durch den mit Parkettboden ausgelegten Flur, die Vordertür wurde aufgerissen – und da stand nicht Mickey. Nur die Putzfrau, Jean. Ich stieß sie zur Seite und lief ins Haus, das ich so selten mein eigenes nannte, in die Küche, wo ich, mein Gott, wo ich sah, dass niemand sonst dort war.
    Einen Augenblick lang dachte ich, ich würde jede Beherrschung verlieren. Ich legte den Kopf in den Nacken und heulte beinahe durchs Haus: »Louis? Mickey?« Nichts als Stille um mich herum.
    »Ist Mr Finnegan hier? Ich habe Stimmen gehört?« Ich keuchte und lehnte mich mit gesenktem Kopf an den Küchentisch. Das Atmen wollte mir nicht gelingen. Schweiß lief mir unangenehm feucht den

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