Morgen wirst du sterben
wieder ein. Die Inhaberin hatte ihr doch fest versprochen, sich zu melden. Ich gebe Ihnen heute noch Bescheid, hatte sie Julie versichert. Inzwischen war heute gestern. Und sie hatte nicht angerufen. Oder vielleicht doch?
Vielleicht hatte Julie das Klingeln nur überhört?
Sie kramte ihr Smartphone aus der Tasche. Vier Nachrichten auf der Mailbox, eine neue Textnachricht, verkündete das Display.
»Aha«, sagte sie.
»Was – aha?« Die Espressomaschine begann wieder zu röhren und zu rumpeln.
Sie hörte die Mailbox ab. Joe hatte zweimal angerufen, er wollte die Bohrmaschine zurück, die er Julie geliehen hatte. Esther wollte wissen, wie es ihr ging. Dann die Frau aus der Boutique: »Wollte nur Bescheid geben, dass ich mich freue, wenn Sie am Montag hier anfangen.«
»Hurra!«, murmelte Julie.
»Was gibt’s?« Christian reichte ihr den Espresso.
»Das mit dem Job hat geklappt. Montag fang ich an. Also morgen, sozusagen.«
»Na, siehst du. Ich hab dir doch gesagt, dass dir keiner widerstehen kann.«
Noch schnell die SMS lesen und dann der Kaffee und dann ins Bett. Eine Nachricht von einem unbekannten Teilnehmer. Wahrscheinlich Werbung. Dabei hütete Julie ihre Handynummer wie ihren Augapfel. Sie öffnete die SMS und las. Dann schaltete sie das Handy aus und legte es weg.
In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, mehrere Gedanken rasten gleichzeitig los und flogen durcheinander. Und immer wenn Julie einen von ihnen zu fassen bekam, entwischte er ihr sofort wieder und schoss weiter. Diese Raserei, dieses Chaos in ihrem Kopf machte sie ganz schwindlig.
»Was ist denn los?«, fragte Christian. »Du bist auf einmal kalkweiß. Ist dir schlecht?«
Nein, wollte Julie antworten, aber im selben Moment merkte sie, wie der Espresso und die Caipirinhas und der Wein und alle vier Gänge des Menüs aus ihrem Magen nach oben drängten. Sie presste sich eine Hand vor den Mund und schaffte es gerade noch ins Bad.
M ama hat vergessen, wie man Kaffee kocht. Sie hat das Kaffeepulver in den Filter gelöffelt.
Du musst zuerst die Tüte reintun, sage ich.
Aber sie hört mich gar nicht. Sie stellt die Maschine an und das ganze Pulver fließt in die Kanne. Schmeckt ja scheußlich, sagt sie, als sie den ersten Schluck nimmt.
Weil du die Tüte vergessen hast, sage ich.
Ach ja, richtig, wo hab ich nur meinen Kopf!, sagt sie. Und dann zündet sie sich eine Zigarette an und raucht und schüttet den Kaffee in den Ausguss.
Meistens raucht sie am Fenster. Sie macht es auf und bläst den Rauch in den Hinterhof, wo die Mülltonnen stehen, und drückt die Kippe am Fensterbrett aus und wirft sie nach unten zu den anderen Kippen, die Frau Franz dann wieder aufkehren darf, und macht das Fenster wieder zu.
Ich will, dass sie das Fenster aufmacht.
Dad mag den Zigarettengestank in der Wohnung nicht, sage ich.
Er kommt heute nicht, sagt sie. Er ist weggefahren.
3
»Ich habe Ihnen die Unterlagen fertig gemacht.« Frau Klopp legte die Dokumentenmappe auf Philipps Schreibtisch. Danach sammelte sie drei schmutzige Kaffeetassen vom Tisch, aus dem Regal und vom Fensterbrett, stapelte sie übereinander und stellte einen leeren Joghurtbecher samt Löffel in die oberste Tasse. Geschickt balancierte sie den Geschirrstapel in Richtung Tür.
»Das müssen Sie nicht tun«, sagte Philipp unbehaglich. »Ich kann das auch selbst wegbringen.«
»Lassen Sie mal. Das ist doch kein Problem.«
Es war aber doch ein Problem, denn jetzt war sie an der Tür und hatte keine Hand mehr frei.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen …« Philipp erhob sich, aber Frau Klopp war schneller. »Nicht nötig.« Sie öffnete die Tür mit dem Ellenbogen. »Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, mache ich jetzt Feierabend.«
»Bitte, natürlich.«
Er sah, wie sie ihren breiten Hintern durch die Türöffnung schob, hörte das Geräusch ihrer Gesundheitsschuhe auf dem Parkett im Flur. Ein Schmatzen, das immer leiser wurde. Und dachte an Yasmins Absätze. Klackerdiklack. Sieben Zentimeter. Und darüber ein Meter zwanzig lange Beine.
»Ach, eh ich es vergesse«, rief Frau Klopp aus der Büroküche. »Der Tisch bei Amadeo ist reserviert. Ab acht.«
»Vielen Dank!«
»Schönen Abend noch!«
»Gleichfalls!« Aber das hörte sie schon nicht mehr. Die Bürotür ging. Frau Klopp hatte Feierabend.
Philipp auch. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Gleich sieben. Wenn er sich vor dem Essen noch duschen und umziehen wollte, musste er sich beeilen. Als er den Computer ausschaltete,
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