Morgen wirst du sterben
ging sein Handy.
»Ja?«
»Marcel hier. Bist du noch im Büro?«
»Wollte gerade Feierabend machen. Was gibt’s denn?«
»Ich bin in der Wohnung. Wär gut, wenn du eben noch vorbeikommen könntest.«
Philipp unterdrückte einen Seufzer. Sein Freund Marcel hatte die Bauleitung für den Umbau des Apartments übernommen, das Philipp vor einem Jahr gekauft hatte und in dem er und seine Freundin eigentlich schon längst hätten wohnen sollen. Aber aus der Renovierung, die Philipp ursprünglich geplant hatte, war eine komplizierte Kernsanierung geworden. Die Holzbalken, die den Dachstuhl des Altbaus trugen, hatten sich bei genauerer Überprüfung als morsch herausgestellt und mussten ausgetauscht werden. Und das Dach war an mehreren Stellen undicht.
Philipp war der Meinung, dass dieses Problem auch die anderen Wohnungsbesitzer betraf. Aber die Hausgemeinschaft sah das nicht so und wollte sich nicht an den Kosten beteiligen. Jetzt prozessierte Philipp gegen die anderen Eigentümer.
Es war ein schlechtes Zeichen, dass Marcel anrief. Er meldete sich eigentlich nur bei Philipp, wenn neue Probleme in der Wohnung auftraten. Alles andere regelte er selbstständig. Dabei war er kein Architekt, er studierte erst seit einigen Semestern Architektur. Aber er hatte sein halbes Leben auf Baustellen gejobbt, war geschickt, belastbar und absolut zuverlässig und viel billiger als ein professioneller Bauleiter.
»Ich hasse dieses verdammte Penthouse«, murmelte Philipp, während er sein Hemd aufknöpfte und auszog. Er ließ es neben dem Schreibtisch zu Boden fallen und ging mit nacktem Oberkörper in den Flur. Als er seine bleiche Brust im Garderobenspiegel sah, musste er an Yasmins braune Haut denken, aber diesmal schaffte er es, den Gedanken zu verdrängen, bevor er ihn erregte.
Er öffnete den Schrank neben der Garderobe. Zum Glück hatte er immer ein paar saubere, gebügelte Hemden dort hängen. Es kam schließlich öfter vor, dass er es vor einem Abendtermin nicht mehr nach Hause schaffte.
Vivian war überglücklich gewesen, als er ihr an ihrem Geburtstag erzählt hatte, dass er das Apartment kaufen würde. »Ein schöneres Geschenk hättest du mir gar nicht machen können«, hatte sie gejubelt. Dabei hatte er ihr die Wohnung ja gar nicht geschenkt. Noch waren sie nicht verheiratet, noch gehörte das Penthouse ihm allein. Und noch konnte er es ohne Probleme wieder abstoßen. Das Geld, das er bisher in die Wohnung gesteckt hatte, wäre natürlich verloren. Aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Heute war er mit Vivian bei ihrem Lieblingsitaliener verabredet. Er würde ihr den Platinring schenken, den er für sie hatte anfertigen lassen. Und um ihre Hand anhalten.
Ach Philipp. Du bist so unglaublich, hörte er sie flüstern.
Und dann? Würde er sich räuspern und sagen: Ach, übrigens, mit der Wohnung in Schwabing wird es doch nichts. Ich werde sie wieder verkaufen.
Nein, das war unvorstellbar, das konnte er ihr nicht antun, nicht an diesem Abend. Es gab ja auch gar keinen Grund, irgendetwas zu überstürzen.
Er fand erst nach langem Suchen einen Parkplatz, der auch noch kilometerweit von der Wohnung entfernt war. Er musste zwei Stationen mit der Tram fahren, um zurückzukommen.
»Da bist du ja endlich.« Marcel empfing ihn schon an der Penthousetür. »Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.«
»Hör bloß auf. Diese Gegend ist echt das Letzte. Wenn wir jemals hier einziehen, verkauf ich mein Auto.«
»Das hätte ich an deiner Stelle schon längst getan.« Marcel war passionierter Vespafahrer. Autos fand er spießig. Genau wie gebügelte Hemden und Anzüge. Konnte er sich auch leisten, im Gegensatz zu Philipp.
Philipp hatte sich vor eineinhalb Jahren mit seiner eigenen Computerfirma selbstständig gemacht. Und wer mittelständischen Unternehmen für teures Geld integrierte IT -Lösungen verkaufen wollte, konnte nicht in Jeans und T-Shirt bei den Firmenchefs aufkreuzen. Manche Unternehmer waren ja schon befremdet, dass Philipp nur Renault fuhr statt BMW . Mit einer Vespa hätte er da keinen Schnitt gemacht.
»Was gibt’s denn? Ich muss in einer halben Stunde bei Amadeo sein.«
»Wer ist das denn?«
»Ein Restaurant.« Das Restaurant, um genau zu sein. »Ich bin mit Vivian verabredet.«
»Ach so. Wir hätten uns doch auch morgen treffen können.«
»Ach wirklich? Vorher am Telefon klang es, als ob es etwas unglaublich Wichtiges zu besprechen gäbe.« Philipps Stimme klang jetzt sehr
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