Morgendaemmerung der Liebe
New York abgeflogen war. Kein Wunder, dass sie überhaupt keine Kraftreserven mehr hatte.
Bilder der Vergangenheit und der Gegenwart begannen sich zu vermischen, wurden wirr. Das einzig Wirkliche war das Wissen, dass Jake sie auf seinen Armen trug. Sie fühlte, wie er sie auf das Bett legte, öffnete ihre schweren Lider und sah seine grünen Augen auf sich gerichtet.
„Jake …“
Es kostete sie Mühe, seinen Namen auszusprechen. Tränen kratzten in ihrer Kehle, als sie erkannte, dass das Eis in seinem Blick nicht geschmolzen war. Plötzlich war sie wieder achtzehn und so schrecklich verliebt. Sie streckte die Arme aus, flehte – und spürte entsetzt, dass sie zurückgewiesen wurde. Hart packte er sie bei den Armen und hielt sie von sich fern.
„Was willst du von mir, Jessica?“
Seine Stimme klang rau, ein längst verhallt geglaubtes Echo alter Qualen. Er verwirrte sie. Mit der Zunge fuhr sie sich über die trockenen Lippen, ihr war schwindlig, sie fühlte sich seltsam losgelöst, aber sie brachte kein Wort heraus. In ihrem Kopf ertönte eine Warnung, dass sie dabei sei, etwas extrem Dummes zu tun, aber sie wollte nicht auf diese innere Stimme hören. Sie konnte nur daran denken, wie sehr sie sich nach diesem Mann sehnte, der aus einem unerfindlichen Grund eine Miene machte, als wollte er sie am liebsten erwürgen.
„Herrgott, Jessica, sieh mich nicht so an!“ Er ließ von ihr ab, als hätte er sich verbrannt. „Was willst du damit erreichen?“
Er zog sich von ihr zurück, aber sie wollte nicht, dass er ging. Angst und Panik zerrten an ihr mit messerscharfen Klauen. Dunkelheit wirbelte um sie herum, verschluckte sie, und sie wusste nur noch, dass sie laut seinen Namen rief.
Dann teilte sich der seltsame Nebel, und sie spürte seinen warmen Körper an ihrem, seinen Mund auf ihren Lippen. Ohne einen Gedanken ergab sie sich dem wunderbaren Gefühl, ihn zu berühren, ihn zu küssen, während ihr Herz wie wild in ihrer Brust hämmerte …
„Jessica?“
Beths zaghafte Stimme weckte Jessica auf. Orientierungslos sah sie sich um. Es war heller Tag!
„Wie fühlst du dich?“ Beth kam an das Bett. „Ich wollte gestern Abend einen Arzt rufen, aber Jake meinte, das sei nicht nötig. Er erzählte, du hättest diese Schwächeanfälle früher auch schon gehabt.“
„Stimmt.“ Verwirrt versuchte sie, die Ereignisse in ihrer Erinnerung zu ordnen. Jake hatte sie in ihr Zimmer getragen. Er war verärgert gewesen, sie hatten gestritten …
Jäh schoss ihr das Blut in die Wangen. Ihre Erinnerung musste ihr einen Streich spielen. Unmöglich! Sie konnte ihn nicht geküsst haben!
Sie schloss die Augen und erschauerte.
„Jessica.“
„Mir geht es wieder gut, wirklich. Nur noch ein wenig schwindlig.“
„Jake sagte, du seiest direkt eingeschlafen. Er meinte, wir sollten dich nicht stören. Nur gut, dass er hier war. Ich hatte ja keine Ahnung, dass dir so etwas öfter passiert.“
Tatsächlich war sie noch niemals zuvor ohnmächtig geworden. Sie wollte Beth sagen, dass die Kopfschmerzen und der Stress wegen Jake der Auslöser gewesen waren, beschloss aber, lieber zu schweigen.
Andere Erinnerungsfetzen kehrten zurück. Jake hatte sie ausgetrickst und ihr die Zusage entlockt, über Weihnachten nach Hause zu kommen. Warum? Angeblich, weil ihre Mutter und Mark sie vermissten. Ihm lag doch mit Sicherheit ebenso wenig an ihrer Gesellschaft wie ihr an seiner.
„Was denkst du über Amanda?“, fragte Beth jetzt neugierig und setzte sich auf die Bettkante. „Sie ist nett, oder?“
„Viel zu nett für Jake“, schlüpfte es Jessica über die Lippen, und sie wünschte, sie wäre vorsichtiger gewesen, als sie Beths erstauntes Gesicht sah. „Gestern Abend sagte sie mir, dass sie noch gar nicht heiraten will. Ich hatte den Eindruck, sie fürchtet sich davor, dass ihr Vater und Jake sie in die Ehe drängen wollen.“
„Oh, Jake würde so etwas nie tun!“, widersprach Beth überzeugt. „Warum sollte er auch? Jede Frau würde doch sofort nur zu gern Ja sagen.“
„Jede seiner Exgeliebten, meinst du wohl.“ Jessicas Stimme triefte vor Sarkasmus. „Doch Jake braucht eine Frau, die er nach seinem Willen formen kann. Eine unschuldige, unerfahrene Frau. Amanda scheint mir perfekt zu sein. Sie wird ihm eine großartige Ehefrau werden. Sie ist Einzelkind, und ihr Vater ist unendlich reich.“
„Ich weiß ja, du und Jake, ihr kommt nicht gut miteinander zurecht. Und ich weiß auch, dass er manchmal unnachgiebig und
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