Morgendaemmerung der Liebe
nicht wirklich. Ach, ich bin nächste Woche in London, für die Weihnachtseinkäufe mit meiner Mutter.“ Sie machte eine kurze Pause und sah Jessica nun direkt an. „Darf ich Sie besuchen? Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann, und Sie sind doch Jakes Stiefschwester. Sie müssen ihn doch gut kennen.“
Gut genug, um zu wissen, dass dieses Kind keine Chance gegen Jake hatte, sollte er es darauf anlegen und seine Willens- und Überzeugungskraft einsetzen. Die Vernunft mahnte sie, sich nicht einzumischen, das würde ihr nur weiteren Kummer bescheren. Doch als sie in Amandas flehende blaue Augen sah, begann ihr Entschluss schon zu wanken. Und keine zwei Sekunden später schrieb sie ihre Adresse und ihre Telefonnummer auf einen Zettel, während sie sich in Gedanken schalt, was, um alles in der Welt, sie da nur tat!
„Mandy und du, ihr scheint euch ja gut verstanden zu haben. Was hältst du von ihr?“
Jessica hatte sich nicht einmal umdrehen müssen, um zu wissen, dass Jake hinter ihr stand. Ihr Radarsystem, einzig auf ihn ausgerichtet, hatte sie bereits gewarnt.
Jetzt sah sie durch den Raum zu Amanda, die mit Beth zusammenstand. „Ich finde sie reizend.“
„Das soll wohl heißen, dass sie für mich zu schade ist.“
Ohne ihn anzusehen, wusste sie, dass er den Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen hatte. „Auf jeden Fall zu unschuldig und viel zu verletzlich“, erwiderte sie kühl. „Aber sicher weißt du das schon selbst. Aber sie ist auch intelligent. Ich frage mich, was du tun wirst, wenn ihr klar wird, wie du wirklich bist?“
„Biest.“ Die Beleidigung kam ihm wie nebenbei über die Lippen. „Du lebst noch immer allein, nehme ich an?“
Die Frage sollte sie treffen. Doch Jessica zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Richtig. So ist es mir lieber.“
„Also immer noch die ehrgeizige Karrierefrau. Ich hätte gedacht, der Reiz sei inzwischen verflogen. Schon seltsam, als wir zusammen groß geworden sind, hätte ich diesen Erfolgswillen nie in dir vermutet.“
„Nun, ich habe schließlich auch lange nicht alle Charaktereigenschaften an dir erkannt.“
Er stellte sich vor sie, mit gerunzelter Stirn, weil ihr Ton so verächtlich klang. „Nämlich?“, forderte er sie leise heraus.
Ihr reichte es. Sie hatte heute Abend schon genug durchgemacht, und hinter ihren Schläfen pochte es unerträglich. Er wusste doch, was er ihr angetan hatte, warum sollte sie es auch noch aussprechen? „Ich will nicht darüber reden.“ Sie stand viel zu schnell auf, seine Nähe löste ein beängstigendes Gefühl der Enge in ihr aus. Sie wollte gehen, doch er versperrte ihr den Weg. Sie schloss die Augen und schwankte prompt. Alles in ihrem Kopf wirbelte, der einzige Fixpunkt in diesem schwindelerregenden Sog war Jakes Stimme, und daran klammerte sie sich wie an einen Rettungsring. Willig ließ sie sich gegen ihn sacken, als sie seine Arme um sich spürte.
Nur dunkel wurde ihr bewusst, dass sie hochgehoben und getragen wurde. An ihrem Ohr hörte sie Jakes Herzschlag. Sie nahm Beths besorgte Stimme wahr, die etwas fragte, und Jakes ruhige Antwort.
„Keine Sorge. Sie hat sich immer zu viel abverlangt. Wahrscheinlich hat nur der Jetlag sie eingeholt. Welches ist ihr Zimmer, Beth?“
Und so ergab sie sich mit geschlossenen Augen dem Luxus, in seinen Armen zu sein. Sie hörte ihn sagen: „Nein, bleib du nur hier unten. Es ist keine richtige Ohnmacht, nur ein Schwächeanfall. Sie ist sicher bald wieder in Ordnung.“
Jake trug Jessica mit ausholenden Schritten nach oben zu ihrem Zimmer. Schon einmal hatte er sie so getragen, als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. Ihr Magen verkrampfte sich. Sie wollte jetzt nicht daran denken. Wie fasziniert und gleichzeitig verängstigt sie damals gewesen war und wie zärtlich Jake sich um sie gekümmert hatte. Es war doch unsinnig, sich jetzt daran zu erinnern. Es war nur eine Illusion gewesen, ein Schein, bewusst geschaffen, um sie zu täuschen. Und weder ihr Stolz noch ihr Selbstwertgefühl hatten sich je davon erholt.
Um genau zu sein: Wäre Wanda nicht gewesen, hätte sie es wahrscheinlich nie herausgefunden. Dann hätte sie Jake geheiratet, wäre wahrscheinlich die Mutter seiner Kinder. Und warum fühlte sie sich dann jetzt nur elend und nicht erleichtert? Wäre es ihr wirklich lieber gewesen, ihn nicht zu durchschauen und in die Falle zu gehen?
Sie ärgerte sich über diesen Schwächeanfall. Dabei war sie selbst schuld. Sie hatte kaum gegessen, seit sie aus
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