Morgendaemmerung der Liebe
Jake, den sie einst geliebt hatte, gab es nicht wirklich. Es war nur eine Maske gewesen, hinter der sich der echte Jake versteckt hatte.
Glücklicherweise hatte sie die Wahrheit entdeckt, ehe es zu spät gewesen war. Bevor sie in einer Ehe gefangen gewesen wäre, die nur aus Habgier und Ehrgeiz zustande gekommen wäre.
Nun, sie war nicht mehr so naiv wie mit achtzehn, sie hatte genug von der Welt gesehen, um zu wissen, dass Jake nicht der Einzige war, der aus reiner Profitgier eine Ehe eingehen würde. Aber dass er grausam genug gewesen war, sie glauben zu lassen …
„Das Telefon klingelt! Bleib du nur hier und ruh dich noch aus. Ich bringe dir gleich eine Tasse Tee.“
Allein in dem freundlichen Gästezimmer mit Blick auf den Garten ging Jessica zum Fenster und starrte mit leerem Blick hinaus. Wusste Jakes Freundin, diese Amanda, wie er wirklich war? Oder täuschte er das Mädchen ebenso, wie er sie damals getäuscht hatte – mit dem wunderbar trägen Lächeln, mit den kühlen grünen Augen, die plötzlich feurig blitzen konnten, mit diesem Mund, der …
Jessica schloss die Augen. Sie war darüber hinweg! Sie war ein anderer Mensch, nicht mehr das naive junge Mädchen. Jake hatte keine Macht mehr über sie.
Und warum hämmerte ihr Herz dann wie wild? Wieso erinnerte sie sich dann noch immer an das Gefühl seiner Lippen auf ihrem Mund?
Der einzige Strohhalm, an den sie sich klammern konnte, war die Tatsache, dass niemand es gewusst hatte. Keiner hatte auch nur geahnt, dass sie und Jake ein Paar gewesen waren. Dass er ihr Worte der Liebe zugeflüstert hatte, sie heiraten wollte. Dann hatte seine Geliebte, Wanda, sie aufgeklärt: Jake wollte Jessica nur heiraten, weil er wusste, dass sein Vater ihnen die Firma zu gleichen Teilen überlassen würde. Zuerst konnte Jessica Wandas Anschuldigungen nicht glauben. Sie vermutete, die Konkurrentin mache Jake schlecht, weil sie eifersüchtig sei. Doch als Jessica ihn besuchen und ein klärendes Gespräch mit ihm führen wollte, hatte sie Jake und Wanda in enger Umarmung vorgefunden.
Jake hatte sie gesehen, wie sie in der Tür stand, und ihr hinterhergerufen. Aber Jessica hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war zu ihrem Wagen gerannt. Wie der Teufel war sie von York Richtung Queensmeade zurückgefahren. Mark und ihre Mutter waren damals in Urlaub gewesen, auf den Bermudas. Deshalb hatten Jake und sie noch nichts von ihren Hochzeitsplänen verraten – sie wollten warten, bis die Eltern wieder zurück waren, und sie damit überraschen.
Auf dem Weg nach Hause wurde ihr klar, dass Jake ihr nachfahren würde. Also wendete sie den Wagen und fuhr Richtung Süden. Damals arbeitete sie gelegentlich in einem kleinen Dekorationsgeschäft. Der Job brachte nicht viel ein, doch Mark zahlte ihr regelmäßig eine kleine Summe, und sie hatte genug Geld auf ihrem Konto, um sich für ein paar Tage in einer kleinen Pension einzuquartieren und sich zu überlegen, was sie nun mit ihrem Leben anfangen wollte.
Ein kurzer Kündigungsbrief ging an ihren Arbeitgeber, mit der Erklärung, dass sie lieber in London arbeiten wolle. Ein zweiter, ausführlicher Brief war für ihre Eltern gedacht. Doch auch in diesem beschrieb sie lediglich ihre Pläne für die Zukunft. Und einen dritten, in dem sie die Beziehung zu ihm beendete, adressierte sie an Jake. Sie sei noch nicht bereit für Ehe und Kinder, sie wolle nicht auf ihre Freiheit und ihre Karriere verzichten. Wanda erwähnte sie mit keinem Wort. Ihr Stolz war zu sehr verletzt.
Als ihre Mutter und Mark drei Wochen später aus dem Urlaub zurückkehrten, hatte sie ihr Leben bereits verändert. Sie hatte sich für mehrere Kurse eingetragen, die den Grundstock zu ihrem Erfolg bilden sollten, und war in eine Wohngemeinschaft mit zwei anderen jungen Frauen gezogen. Auch äußerlich spürte jeder ihre Wandlung: Sie hatte sich das Haar bis auf Schulterlänge abschneiden lassen und ihre gesamte Garderobe ausgetauscht. Nichts erinnerte mehr an den übermütigen Teenager. Innerhalb von drei kurzen Wochen hatte sie das Bild von der kühlen Geschäftsfrau, die sie werden wollte, perfektioniert.
Natürlich waren ihre Eltern schockiert, vor allem Mark. Er wollte sie näher zu Hause wissen. Er wandte ein, sie brauche doch nicht ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Und wenn Jessica auch in den ersten Monaten oft am liebsten nach Hause zurückgekehrt wäre, so hielt sie der Gedanke, dann unweigerlich Jake über den Weg zu laufen, immer wieder davon
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