Morgenrötes Krieger
Staube zu machen.
Aber es war schon zu spät. Bevor das Schiff der Fremden – noch immer unsichtbar und nur als Bewegung unter der Eisschicht erahnbar – entkommen konnte, pral l ten die beiden Objekte aufeinander. Han kam es vor, als sähe er es in Zeitlupe. Sie kollidierten, vereinten und ve r schmolzen sich; sie explodierten nicht, sondern verglü h ten, wurden zu einer einzigen, hellroten, unförmigen Masse; die Glut verschwand in einer gewaltigen Staub- und Dunstwolke, während die Ausschläge und Impulse auf dem Schirm schwächer wurden und erstarben. Die Detektoren zeigten nur noch eine einzige Strahlungsque l le im System von Morgenröte: die Sonne, für das Auge unsichtbar hinter der Planetenmasse, nur angezeigt durch ihren Strahlenkranz über der Krümmung des Horizonts.
Liszendir hatte den ganzen Vorgang wortlos und regung s los beobachtet. Nach langem Schweigen sagte sie schlie ß lich mit ruhiger Stimme : „ Du denkst vielleicht, daß ich dies als ein weiteres Zeichen für Hathas perfides Wesen erachte. Nein, ganz und gar nicht. Das Gesetz schreibt vor: ‚Gebrauche keine Waffe, die die Hand ve r läßt’. Genau das hat er zum Schluß befolgt: Es hat seine Hand nicht verla s sen. Auch ist Selbstmord für mich kein Grund zur Trauer, denn er ist nichts weiter als eine Han d lung, und der Wert einer Handlung liegt allein im Zweck und Sinn für die Gegenwart und die unmittelbar folgende Zukunft.“
Han blickte zu ihr auf, dann sagte er: „Ich verstehe. Aber ich sehe es auch im Rahmen seines eigenen S y stems: Der Edle hat die Wahl; je höher er steht, um so größer der Spielraum. Dies war sein Glaubensbekenntnis. Als er demnach aufgrund eigener Handlungen in eine Situation geriet, die ihm keine Wahl mehr ließ, war er kein Edler mehr – konnte es nicht mehr sein. Ein weiterer Grundsatz seiner Weltanschauung verbot, daß jener, der frei wählen darf, als Werkzeug fremder Interessen mi ß braucht wird.“
Usteyin fügte mit düsterer Stimme hinzu: „So ist es vollbracht. Sie haben ihn verwundet, so wie ich es vo r ausgesagt habe, wie ich es sah.“
„Er hat sie weit schlimmer verwundet“, antwortete Han. „Nun ist der Meisterintrigant entlarvt und gefangen, und es gibt keinen Ort, wohin er fliehen könnte. Bedenkt, wie es um ihn steht: Er kann nicht auf Morgenröte ble i ben. Die Krieger werden ihn jagen – schon jetzt! Und sollte er ihnen auch entkommen, so muß er doch den U n tergang der Sonne fürchten. Zerstört, verloren auf immer ist das einzige Schiff, das seine Rettung gewesen wäre.“
„Nein, nicht diese Art der Verwundung, nicht der Körper. Ich meinte, daß sie ihn verwundeten, als er mer k te, was sie ihm und seinem Volke angetan hatten. Du hast es ihm erzählt, bevor wir dieses Schiff betraten, doch sein Herz begriff es erst, als er auf seinem eigenen Schi f fe weilte, nicht mehr auf diesem hier. Er schien stur, festgelegt auf seine eigene Geschichte, wenn ihr so wollt. Dann dachte er nach. Und was er tat, war geplant, war kein Ding-des-Zorns. Jene anderen, sie konnten mit den Waffen fertig werden, die sie ihm selbst gaben: mit di e sen Felsenbrocken. Doch als er sein Schiff zur Waffe machte, da waren sie gelähmt. Er wußte das, wußte, daß sie glauben würden, er wolle unter allen Umständen sein Schiff retten.“
Liszendir fügte hinzu: „Und so habe ich das Ende e i ner Legende erlebt, das Ende der Sanjirmil-Geschichte. Irgendwie bedauere ich es …, hätte mir etwas Besseres für sie gewünscht … Nun aber ist es vorbei, und wir können nach Hause zurückkehren. Nun sind wir frei.“
„Wir sind frei – und haben die Wahl“, sagte Han r u hig.
„Was für eine Wahl?“ fragten die beiden Mädchen im Chor.
„Wir können nach Hause fliegen oder das erledigen, was noch zu tun bleibt.“
„Was gäbe es hier noch zu tun?“
„Aving. Habt ihr ihn vergessen? Ich weiß, daß Aving nicht auf jenem Schiff am Südpol war. Unmöglich! Er wäre selbst an einem Ort wie Morgenröte niemals in der Lage gewesen, unbemerkt sein eigenes Schiff aufzus u chen und wieder zu verlassen; es war größer noch als das von Hatha. Nein, nein! Der einzige Zeitpunkt, zu dem er es betreten konnte, war der, wenn Hatha fort war, nachts, wenn alle anderen wegen der strengen Jahreszeit in den Häusern blieben und nichts sehen konnten. Auch war es ihm nicht möglich, am Südpol zu leben. Aving ist als einziger nicht in den Trümmern seines eigenen Abente u ers untergegangen. Er wird eine
Weitere Kostenlose Bücher