Morgenrötes Krieger
uns ein wenig Gesellschaft leisten würdet. Wir haben nur sehr selten Besucher. Es würde mich freuen.“
So gingen sie dann alle zusammen in den yos unter den Bäumen und verbrachten den Abend mit Essen, Trinken und der Erzählung ihrer Geschichte, der Hvethmerleyn mit Interesse und gedämpfter Heiterkeit folgte. Han ließ einige Sachen aus, aber weder Liszendir noch Usteyin korrigierten ihn. Und als der Abend schon weit fortgeschritten war, bemerkte er, daß sich die beiden Frauen füreinander zu erwärmen begannen und zune h mend vertraulicher und intimer wurden. Wie es für Li s zendir sein würde, das wußte Han in groben Zügen, aber was Hvethmerleyns Rolle anbetraf, so konnte er sie sich kaum vorstellen: das ganze Leben mehr oder weniger mit einem Manne verbracht, und dann sucht man selbst für ihn eine zweite Partnerin, bringt sie ins eigene Haus, in die eigene Familiengemeinschaft … Er versuchte, es nachzuempfinden – unmöglich.
Sie erfuhren, daß der Name der Webe Ludhen war. Ludh bedeutete „Wein“ in der Single-Sprache! Sie waren Weinbauern! Hvethmerleyn lachte ein warmes, herzl i ches Lachen, und Han, der inzwischen mit vielen Ch a rakterzügen und Eigenarten der Ler vertraut war, sah für einen Moment lang, daß Hvethmerleyn nach Ler-Maßstäben äußerst warmherzig und sinnlich war. Sie war genau das, was Liszendir brauchte, zumal er schon lange den Verdacht hatte, daß Liszendir selbst in ihrem Leben etwas Bestimmtes vermißte. Sie war höchst erfreut da r über, daß Han die Bedeutung des Single-Wortes erkannt hatte, und bestand darauf, daß er und Usteyin als Erinn e rung eine Flasche Wein annahmen. Dann sprachen sie noch über den Erstvater, ihren Innenverwandten, der den Namen Thriandas trug.
Hvethmerleyn hatte anscheinend den Verdacht, daß seine Erklärung, noch auf dem Weingut arbeiten zu mü s sen, lediglich ein Vorwand war, um für sie selbst einen passenden männlichen Außenverwandten aufzutreiben. Thoriandas, der offensichtlich einen derben Humor b e saß, hatte ihr versprochen, er werde ihr einen von der schlimmsten Sorte besorgen: einen Trunkenbold, Schl ä ger und Dieb. Usteyin schüttete sich aus vor Lachen.
Das Kind, Tavrenian, wurde früh zu Bett gebracht. Als sie danach weiterplauderten, merkte Han, daß Hvethme r leyn ebenfalls müde war und Liszendir ziemlich e r schöpft aussah. So verabschiedeten sie sich kurz und o h ne lange Zeremonien und brachen auf. Liszendir begle i tete sie zur Tür, während Hvethmerleyn im Haus blieb, wohl spürend und wissend, daß sie noch ein paar private Worte miteinander wechseln wollten: Worte, die noch zu Liszendirs altem Leben gehörten.
Usteyin brach das Schweigen und sagte: „Liszendir Ludhen, du hast hier einen herrlichen Ort gefunden, von dem ich mir zutiefst wünschen würde, daß wir ihn z u sammen teilen könnten. Aber ich wünsche dir für dein eigenes Leben all das, was wir selbst in dem unsrigen gefunden haben.“
„Ja, es ist wahr. Dies ist ein guter Platz, und ich gla u be, ich werde mich an ihn gewöhnen. So will ich euch denn Adieu sagen und euch niemals vergessen. Ich habe euer Leben gesehen und ihr das meine – eine Zeitlang wanderten wir in den Schuhen des anderen. Es ist ein gutes Ende, besser als ich es mir erträumt hatte.“ Sie u n terbrach sich und kaute unentschlossen auf ihrer Unte r lippe. Dann umarmte sie beide kurz und spontan und lief zurück zum yos. Am Eingang verharrte sie und rief: „Viele Kinder! Und viele Jahre!“ Dann verschwand sie schnell nach drinnen.
Draußen, in der feuchten Kühle der Nacht, durchwebt von fallenden Tropfen und dem Flüstern der steten Bra n dung, gingen Han und Usteyin wortlos, tief in Gedanken versunken und sich dabei gelegentlich berührend, auf schmalem Pfad zum Tor, über die Steinbrücke und die naßglänzenden Straßen zurück in ihr Zimmer.
Erklärende Nachbemerkung
zu den Ler-Namen
In den meisten Texten der spekulativen Literatur berü h ren den Leser die Namen einzelner Handlungspersonen – insbesondere dann, wenn es sich um fremdrassige Leb e wesen handelt – mitunter recht merkwürdig, und die Aussprache dieser Namen ist oft schwer, wenn nicht u n möglich. Soweit es um die in diesem Buch verwendeten Ler-Namen geht, ist dies jedoch nicht der Fall, zumindest war es nicht beabsichtigt. Nach kurzem Überlegen sollten sie nicht nur plausibel erscheinen, sondern auch leicht aussprechbar sein.
Alle Ler-Vornamen basieren auf drei Stammworten oder -Silben
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