Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
wirst.« Sie klingt so überzeugt, dass ich ihr nicht widersprechen möchte und folge ihr stattdessen in die Grotte, tief unter dem Orden. Dort reinigen wir uns alle zwei Tage unter einer frischen Quelle, die direkt aus den Steinen des Kellergewölbes sprudelt. Ich entkleide mich und steige in das kleine Becken, dessen Wasser so kalt ist, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut bekomme. Nachdem meine Haare nass sind, beginnt Esra damit, einen duftenden Schaum in sie einzumassieren. Sofort rieche ich frische Blumen und eine leichte Vanillenote. Ich sehe zur Seite und beobachte, wie Mama und Iria mein weißes Kleid fein säuberlich an einem Kleiderhaken aufhängen. Nach der Nacht bin ich jetzt viel gefasster. Dies ist mein Leben, meine Bestimmung. Nun ist es endlich so weit und sie erfüllt sich. Das Warten war das Schlimmste, doch in etwa einer Stunde kommt Gaia und damit endet es endlich.
Esra, Iria und Mama schrubben mich von oben bis unten ab. Reinigen und feilen meine Fingernägel. Sie cremen mich mit einer wohlduftenden Körpermilch ein, flechten mein Haar zu einem langen, festen Zopf und kleiden mich schließlich an.
»Du siehst so schön aus«, haucht Iria beinahe ehrfürchtig. Ich sehe an mir herab und lächele sie dann an. Esra beugt sich gerade vor mich und hilft mir in ein Paar flache, weiße Schuhe, als es an der Tür klopft.
»Maya muss so langsam in die große Halle kommen«, erklingt Elarias Stimme. »Nur noch zehn Minuten.«
Ich höre, wie ihre Schritte wieder schnell davon eilen. Mein Puls beschleunigt sich. Die Zeit ist so schnell verflogen. Viel zu schnell. Aufgeregt ergreife ich die Hand meiner Mutter. Sie nimmt sie und hakt mich anschließend bei sich ein. An ihrem Arm führt sie mich wieder nach oben in das Gebäude des Ordens. Hinter uns höre ich Esras und Irias Schritte. Als wir vor dem Tor zur großen Halle ankommen, drehe ich mich um und finde meine beste Freundin mit vor Kummer geröteten Augen hinter mir. Ich ziehe sie in meine Arme … ein allerletztes Mal.
»Vergiss mich niemals«, presse ich hervor und eine Träne rollt über meine Wange.
»Niemals«, verspricht sie mir.
Das große Tor zur Halle wird geöffnet und lässt durch die riesigen Fenster an der uns gegenüberliegenden Seite das Licht der aufgehenden Sonne auf mich fallen. Ohne es zu sehen, weiß ich, dass dadurch das Rot meiner Haare förmlich in Flammen steht. Ich löse mich von Iria und lasse mich von der Hand meiner Mutter in meinem Rücken hineinführen. Alle meine Schwestern sind bereits versammelt und stehen im Halbkreis um einen runden, roten Teppich. Mama führt mich in dessen Mitte und Elaria tritt zu uns heran.
»Ich übergebe dich an Gaia«, sagt sie und versucht dabei ganz ruhig zu sein, aber ich sehe die Aufregung in ihren grauen Augen.
»Maya«, schluchzt meine Mutter und dreht mich zu sich. Fast schon verzweifelt drückt sie mich ein letztes Mal an ihr Herz und ich kann nicht anders, als erneut in Tränen auszubrechen.
»Lebwohl, Maya!«, erklingt es aus allen Ecken. »Die Göttin sei mit dir.«
»Unsere Seelen werden sich wiedersehen«, verspricht mir meine Mutter, bevor sie sich von mir löst. Ich strecke meinen Arm aus und versuche den Kontakt zu ihr so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, doch schließlich verlassen ihre Fingerkuppen die meinen und mir wird schmerzlich bewusst, dass ich ab sofort auf mich alleine gestellt bin. Elaria legt einen Arm um meine Schulter und wischt mit einem Tuch meine Tränen weg.
»Alles wird gut, Maya«, verspricht sie mir, als auch schon der Luftwirbel vor unseren Füßen zu tanzen beginnt. Ich erinnere mich an das Licht, welches damals auf der Lichtung von oben gekommen war und sehe hinauf. Eine Kugel aus gleißendem Licht bricht durch die Decke und bewegt sich auf den Wirbel zu meinen Füßen zu. Kurz bevor die beiden aufeinandertreffen, halte ich mir die Augen zu. Selbst mit geschlossenen Lidern entgeht mir die Lichtexplosion nicht. Vorsichtig nehme ich meine Hände herunter und sehe in Gaias Gesicht. Sie ist gut einen Kopf kleiner als ich und ihre gütigen, schillernden Augen blicken mir freudig entgegen.
»Maya«, sagt sie, »endlich kann ich dich zu mir holen.«
»Es ist mir eine Ehre, Mutter aller Dinge«, antworte ich und beuge mein Knie. Mir ist schlecht und ganz schwummrig. Mit einer Handbewegung deutet Gaia mir an mich wieder zu erheben. In meinen Ohren beginnt es, vor Aufregung zu rauschen, und ich höre nur wie durch Watte, dass Gaia meine
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